Ein bißchen mehr Europa ist okay

Die Iren sind die größten Europafans: Die EU hat Irland Geld und Freiheit gebracht – was die katholische Kirche freilich gar nicht schätzt  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Der „grüne Tiger“ mag Europa, weil es ihn gut füttert. Seit dem Beitritt zur EWG im Jahr 1973 sind aus vielen Brüsseler Töpfen Gelder nach Irland geflossen, die bis zu sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachten. Das lag im vergangenen Jahr zum erstenmal höher als das britische, und das ist fast so gut für den Nationalstolz wie ein Fußballsieg über die Nachbarn.

Die Agrarpolitik der EU kommt der Insel mehr als anderen Mitgliedsländern zugute, weil hier fast zehn Prozent in der Landwirtschaft arbeiten. Und aus den Strukturfonds geht jedes Jahr ein hübsches Sümmchen nach Dublin, damit Irland den Anschluß an Resteuropa findet. Das hat so gut geklappt, daß die Iren neben Luxemburg bisher als einzige die Kriterien für die Einheitswährung erfüllen. Zu gut darf es allerdings nicht klappen, sonst wird der Geldhahn 1999 zugedreht, wenn die Mittel neu verteilt werden.

Es gab auch mal einen Euro- Gegner in Irland. 1992 erzwang der damalige Wirtschaftsdozent am Dubliner Trinity College, Raymond Crotty, per Gerichtsurteil ein Referendum über die Maastrichter Verträge. Irland hätte als ehemalige Kolonie ganz andere Probleme als die früheren Kolonialmächte: Auswanderung und Arbeitslosigkeit würden bei einer Einheitswährung steigen, weil die Gelder von den Ländern am Rand abgezogen und im Zentrum Europas investiert würden, wo sie mehr Profit bringen. Crotty beschwor Irlands Rolle als Vermittler zwischen Erster und Dritter Welt.

Die Iren sahen das anders, sie glaubten Crotty nicht. Mehr als siebzig Prozent stimmten für die Ratifizierung der Verträge. Crotty ist längst tot, und recht behalten hat er auch nicht. Die Elektronikmultis strömen nach Irland, ein Drittel aller Computer in der EU stammen von der Insel – ebenso wie rund vierzig Prozent der Software, die in Deutschland über den Ladentisch geht.

Die Langzeitarbeitslosen gucken freilich in die Röhre. Von den neuen Arbeitsplätzen profitieren fast ausschließlich Hochschulabsolventen und hochqualifizierte Fachkräfte. Die traditionellen Industriejobs, vor allem für ungelernte Arbeiter, verschwinden nach und nach. Und die Träume vom Binnenmarkt, die Ende der achtziger Jahre besonders von Männern geträumt wurden, sind auch nicht wahr geworden. Damals drehten sich die Kneipengespräche um Schnaps- und Zigarettenpreise, die nach Anpassung der Mehrwertsteuer drastisch sinken sollten. Statt dessen hat die irische Regierung bei jedem neuen Haushaltsplan die Schwäche ihrer Landsleute schamlos ausgenutzt und die Steuern auf diese Produkte heraufgesetzt. Und für importierte Autos, für die früher 50 Prozent des Werts an Einfuhrzoll fällig wurden, muß man nun eine ebenso hohe „Neuregistrierunsgebühr“ berappen.

Liberalisierung nur durch europäischen Einfluß

Andere Hoffnungen haben sich dagegen erfüllt: Der Europäische Gerichtshof hat dafür gesorgt, daß Homosexualität nicht mehr mit Hochverrat auf einer Stufe steht, sondern legal ist. Verheiratete Frauen, die früher die schriftliche Genehmigung des Ehemannes benötigten, wenn sie einen Reisepaß beantragen wollten, stehen heute nicht zuletzt wegen Europa besser da. Und was Kondome, Scheidung und Information über Abtreibung angeht, so wäre die Liberalisierung ohne europäische Einflüsse nicht denkbar gewesen.

Und es darf ruhig noch ein bißchen mehr sein, so hofft ein großer Teil der Bevölkerung – der andere Teil allerdings fürchtet es: Katholische Organisationen und selbsternannte Lebensschützer hatten schon damals Crotty unterstützt, denn ihnen war klar, daß sie von Europa nichts Gutes zu erwarten hatten. Sie träumen noch heute vom isolierten Irland der fünfziger Jahre, in dem „gottesfürchtige Jungfrauen an den Wegkreuzungen Volkstänze“ aufführen, wie es ein ehemaliger Premierminister einmal ausdrückte.