Gefährlicher Eurozentrismus eines Historikers

■ W. Wippermann konzediert den Roma & Sinti zwar eine eigene Kultur, aber die Erkenntnis einer „besonderen Lebensweise“ begreift er als Antiziganismus

Wolfgang Wippermann, Geschichtswissenschaftler an der Freien Universität in Berlin, setzt sich in seinem Buch „Wie die Zigeuner“ mit einer vergleichenden politischen Ideengeschichte des Antisemitismus und des Antiziganismus, beginnend im Mittelalter bis hin zur Gegenwart, auseinander. In diesem bisher einzigartigen systematischen Vergleich der Juden- und Zigeunerfeindschaft in Deutschland weist Wippermann gemäß seines Forschungsinteresses vortrefflich nach, daß „Antisemitismus und Antiziganismus viele gemeinsame Züge“ (S. 12) haben und sich in ihren Bestandteilen durch wechselseitige Übertragung von Vorurteilen auch gegenseitig bedingen.

Desweiteren ist es dem Autor ebenso gelungen, in dem Kapitel über die Epoche des Nationalsozialismus die Einheit des Völkermordes an Juden und Zigeunern aus rassistischen Motiven mittels gemeinsamer staatlicher Rechtsgrundlagen ab 1935 herauszustreichen – eine Erkenntnis, die in ihrem historischen Wahrheitsgehalt in der sogenannten Zigeunerforschung der Bundesrepublik Deutschland bis in die 80er Jahre immer wieder angezweifelt bzw. bestritten worden ist.

Ansonsten aber ist es das Dilemma eines traditionell arbeitenden Historikers, der über keine Vorstellungskraft hinsichtlich der sozialen und kulturellen Organisationsprinzipien „segmentärer Gesellschaften“ (Durkheim) verfügt, das sich wie ein Leitfaden durch die tsiganologischen Kapitel seines Buches zieht. Zwar gesteht Wippermann den Roma & Sinti einerseits „eine eigene Geschichte, Sprache und Kultur“ (S. 11) immerhin zu, kann aber andererseits in der Erkenntnis einer „besonderen Lebensweise und Kultur“ (S. 222) nur einen „Ausgrenzungsmechanismus“, eine „antiziganistische Kampagne“ (S. 216) der „zivilisierten Deutschen“ (S. 222) sehen – wobei sich (nebenbei bemerkt) über die oftmals vertretene Hypothese einer Manipulationsstrategie der herrschenden Klassen durch Ethnisierung sozialer Konflikte zumindest noch diskutieren ließe.

Bedauerlich auch, daß der Historiker in verbalen Attacken pauschal „die Tsiganologen in Deutschland“ diffamiert, denen er – wie beispielsweise Reimer Gronemeyer und Georgia Rakelmann in Gießen – unterstellt, sie hätten „mit ihrer These von der Existenz einer ,zigeunerischen Lebensweise‘ bestimmte soziale Verhaltensweisen ethnisiert und die gesamte ethnische Gruppe der Sinti und Roma de facto kriminalisiert“ (S. 201).

Demgegenüber scheint es mir jedoch unabdingbar zu sein, die „zigeunerische Lebensweise“ der Roma & Sinti – ihre Sprache, Traditionen, Sitten, Bräuche, Rituale, Berufe und künstlerischen Ausdrucksformen – als authentische Kulturleistungen hervorzuheben, deren historische Ursprünge im geistigen und gesellschaftlichen Leben des alten Indien – ergänzt durch islamische und europäische Einflüsse – liegen. So drückt der hartnäckige Standpunkt Wippermanns, „alles Fremde und Anders- sein“ mit der Floskel der Ideologisierung oder durch Unverständnis einfach zu ignorieren, eine Verabsolutierung des Deutschen aus, die keine Abweichung von der hiesigen Normalität zuläßt. Damit ist er nicht frei von eurozentrischem Gedankengut.

Wippermanns Kapitel zum Antiziganismus, die streckenweise wie eine Auftragsarbeit für den Zentralrat der deutschen Sinti & Roma in Heidelberg klingen, stellen die kritikwürdige Festlegung auf eine Bürgerrechtsarbeit dar, die sich mit ihrer Politik ethnischer Selbstgenügsamkeit nach den politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Umwälzungen in den ehemaligen realsozialistischen Ländern als ein Hemmschuh internationaler Emanzipation der Roma & Sinti in Europa erweist. Mit dem Zusammenbruch der alten Ordnung löste sich die historische Spaltung der Roma & Sinti in „Ost- und Westzigeuner“ auf. Darüber hinaus haben ebenso die zahlreichen Ost-West-Migrationen von Roma-Gruppen in die Einwanderungsregionen Nord-, Mittel- und Westeuropas auch in der Bundesrepublik Deutschland zu veränderten Lebensverhältnissen der Roma & Sinti geführt, denen eine inhaltliche und organisatorische Neuorientierung der Bürgerrechtsarbeit folgen muß. Denn: Nur eine einheitliche Formulierung der europäischen Interessen der Roma & Sinti wird zu einer internationalen Verbesserung der allgemeinen Lage der Roma & Sinti in der ganzen Diaspora beitragen können und die Existenzberechtigungen für ein menschenwürdiges Dasein in den multikulturellen Gesellschaften eines grenzenlosen Europas schaffen.

Trotz der wissenschaftlichen Defizite und politischen Fehleinschätzungen ist das Buch dennoch nicht schlecht. Als eine Erweiterung der „soziologischen und sozialpsychologischen Rassismusforschung um eine historische Dimension“ (S. 10) bedeutet die Lektüre dieser – im positiven Sinne: populärwissenschaftlichen – Einführung in den Antisemitismus und Antiziganismus einen immer noch großen Gewinn. Rainer Jaroschek

Wolfgang Wippermann: „Wie die Zigeuner – Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich“. Elefantenpress, Berlin 1997, 268 Seiten, 39,90 DM

Der Rezensent ist Ethnologe und Mitglied der AG Sinti und Roma bei der Internationalen Liga für Menschenrechte