Kaffeetrinken mit dem Horror

■ Der Boris Karloff des Shock Rock, Alice Cooper, flirtet seit den 70er Jahren öffentlich mit seiner Lieblingsboa und spielt als inszenierte Therapie mit Kinderschändungen

Irgendwie ein unangenehmes Gefühl. Da steht ein fast 50jähriger Mann mit dürren Beinen und faltigem Gesicht auf der Bühne, ummalt seine alten Augen mit schwarzem Make Up und singt von den wilden Zeiten, wenn die Schule vorbei ist und wie eigenständig er jetzt ist, weil er gerade 18 wurde. Das klingt so, als würden einem die eigenen Eltern auf der puscheligen Couch von früher erzählen und wie mächtig ungestüm und aufrührerisch sie damals waren. Wie gesagt, ein eher unangenehmes Gefühl. Doch der Mann da oben auf der Bühne darf das. Das behaupten zumindest seine Fans. Denn da oben steht nicht irgendein Rock-Rentner, sondern Alice Cooper. Der Mann, der mit dem Horror Kaffee trinkt, dessen Einladung in seine ganz private Hölle man nur sehr ungern folgt.

Alice Cooper, das ist der Name, der einem als erstes einfällt, wenn andere von „Shock Rock“sprechen. Marylin Manson, Osbourne oder Blackie Lawless von W.A.S.P., sie alle kommen in ihrer eigenen Geschichte nicht ohne Cooper aus. Manson und Lawless entliehen sich von dem dünnen Mann aus Detroit dessen feixend-tuntige Adrogynität und Straps-Ästhetik, und der „Madman“Osbourne währe ohne Cooper wohl nie auf die Idee gekommen, mit satanisch-rollenden Augen einer lebendigen Taube auf der Bühne den Kopf abbeißen zu wollen.

Als Paradebeispiel der 70er verkleistert Cooper Band, Privatperson und Rock-Entertainer zur unauflöslichen Image-Masse – Vincent Damien Furnier war Alice Cooper der Charakter, Alice Cooper die Band und der Kosmos. 20 Jahre ist es nun schon her, daß Cooper das letzte aus sich rausgeholt hat. Von 1970 bis 77 reichte die Ära, in der er die theatralischen Monster-Show-Eskapaden inszenierte: der sodomitisch angehauchte Flirt mit Lieblings-Boa Yvonne, das selbstverliebte Spiel mit Kinderschändung und Nekrophilie, die fatale Alkoholsucht inklusive der alptraumhaften Whiskeyflaschen-Paranoia bis hin zur tausendmal durchgeführten Hinrichtung Coopers am Ende eines jeden Konzerts. Rock-Theater als inszenierte Therapie.

Heute wirkt Cooper wie ein Boris Karloff des Rock. Denn als er für einen der unzähligen „Freitag der 13.“-Slasher-Streifen The man behind the mask einsang und zum ersten Mal einen anderen Horrorstar als sich selbst meinte, verspielte er seine Image-Identität. Alice Cooper ist sein eigener Hofnarr geworden, ein faxenreicher Killer-Conférencier, für den mäßiger Rock'n'Roll immer noch das Maß aller Dinge ist. Oliver Rohlf Fr, 20. Juni, 20 Uhr, G1 ( Gaswerk)