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: Nacht über Manhattan

Seit 40 Jahren und 40 Filmen kümmert sich Sidney Lumets amerikanischer Realismus um Individuen. Einzelschicksale werden mit Problemen konfrontiert, die für sie eigentlich unlösbar sind. Diese wiederkehrende Überforderung ist das Herzstück der Lumet-Filme, die dabei zugleich von einem starken Glauben an Moral und Gerechtigkeit durchzogen sind. Der Mann in der Schlangenhaut, Hundstage und Prince of the City gehören zu den eindringlichsten Beispielen von Lumets reduziert-ethischem Existentialismus.

Nacht über Manhattan vereinigt nahezu alle Schwächen und Stärken dieser Tradition in sich. Der Pflichtverteidiger und Ex-Cop Sean Casey (Andy Garcia) steigt unversehens zum Bezirksstaatsanwalt auf. Eine Schießerei zwischen einem Drogendealer und der Polizei - bei der Caseys Vater (Ian Holm) schwer verletzt wurde - war zu seinem Sprungbrett geworden. Der gewiefte Bezirksstaatsanwalt Morgenstern (Ron Leibmann) hatte Casey als Ankläger eingesetzt. Der hatte den Fall gewonnen, und nachdem Morgenstern einem Schlaganfall zum Opfer gefallen war, durfte der junge Aufsteiger dessen Nachfolge antreten. So glanzvoll Caseys Karriere klingt, so hart wird sie durch Sidney Lumets Inszenierung konterkariert. New York liegt in ständigem Dunst, diesig ist jeder Ausblick, die Gerichtssäle zeigen Risse im Mauerwerk, hartes Neonlicht fällt auf Angeklagte, Verteidiger, Staatsanwälte und Richter gleichermaßen. Dementsprechend bald erkennt Casey die Perfidie und Verlogenheit des Systems, dem er dient. Er selbst wird mit seinem Vater in eine Korruptionsaffäre hineingezogen, die ihm die Frage der Gerechtigkeit auf ganz neue Weise stellt. Am Ende wird er wie jeder Lumet-Held vor der Aufgabe stehen, seine Träume und Ideale an der eigenen Realität abzugleichen. Jan Distelmeyer

Aladin, Cinemaxx, Ufa