Melone und Stückzerlegung

■ Die Wüste lebt!, das 2. Festival junger Regisseure und Schauspieler, erfrischt mit neun neuen, spritzigen Theaterproduktionen in den Kammerspielen

Zum zweiten Mal veranstalten die Universität Hamburg und die Kammerspiele das Nachwuchsfestival „Die Wüste lebt!“. Neun Produktionen werden in der Hartungstraße gezeigt, die meisten davon Arbeiten von Studierenden und Absolventen des Instituts für Theater, Musiktheater und Film. Gemeinsam ist vielen Produktionen der Mut, mit den titelgebenden Stücken nicht viel mehr als die Idee zu teilen. Zu erwarten sind zehn Tage spannendes junges Theater unterschiedlichster Art.

Nicolas Stemanns Antigone Gone eröffnet am Freitag das Festival. Schlechtes Englisch oder deutsche Sprechhemmung? Stemann möchte den Titel der Produktion als Programm verstanden wissen. Irgend etwas ist weggegangen oder vielleicht ist es nur einfach nicht zu benennen. Antigones Geschichte vom Widerstand gegen die Autorität bearbeitet er als Frage nach dem geringen Aufbegehren unserer Generation. Wogegen rebellieren, und wofür? Wo ist mein Standpunkt und welcher lohnt die Verteidigung? Ein Abend mit Axt, Melonen, live Klavierbegleitung, Bachusfest und Texten von Sophokles/Hölderlin. Regisseurin Ute Rauwald benutzt von Caryl Churchills Top Girls am Montag nur eine kurze Szene als Ausgangspunkt für eine Stunde bewegungsorientiertes Theater um das Erwachsenwerden auf zwei Handlungsebenen: Mutter/Töchter und Regisseurin/Schauspielerinnen.

In der Wüste lebt auch einiges, was eigentlich das Medium Theater längst in Richtung TV verlassen hat: Psychothriller und Stand-up-Comedy zum Beispiel. So trifft in Veronicas Zimmer am Sonntag eine Studentin auf ein altes Ehepaar und es entspinnt sich die seltsame Geschichte eines Todes und ein Vexierspiel der Realitäten: Zeiten und Umwelten verflüchtigen sich, bis auch die eigene Identität als letzte Konstante in Frage steht. Die Bekenntnisse eines heimlichen Nudisten des phantastischen britischen Komikers Ken Campbell dienen Regisseurin Maike Krause als Ausgangspunkt für ihren Abend. Jan Maak ist der Comedin, der sich mit Campbells und eigenen Texten der paradoxen Wahrnehmung der Nacktheit annimmt.

Zwei der Produktionen stehen unter dem direkten Eindruck der aktuellen militärischen Konflikte in Europa. Der Bosnier Branco Simic sucht mit der Geschichte eines flüchtenden Mädchens Bilder für Lyrik Joseph Brodskys. Telat Yurtsever erzählt mit Heiner Müllers Landschaft mit Argonauten von Eindringlingen – in seine Heimat Südost-Türkei und anderswo.

In Schwaben und vor hunderten von Jahren spielt eigentlich Kleists Käthchen von Heilbronn. Ein Mädchen bricht erlebnis- und emotionsarme Verhaltensweisen einer Gesellschaft auf. Sandra Strunz zeigt Käthchens Spiel als existenzielle Erlebnismöglichkeit. Ebenfalls am letzten Wochenende zeigt Michael Bandt Vögelgezwitscher des jungen Autoren Marc Becker - eine Jagd. Der Mann ist ein Jäger, vielleicht ein Polizist, die Frau kein Vogel, vielleicht eine Erdkundelehrerin, der Abend ein Geschlechterkampf, eine Groteske.

Matthias von Hartz

20. bis 29. Juni, Kammerspiele