Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

...muß schön sein. Weil es das Vorurteil so will und der Markt danach verlangt. Ohne richtigen Haarschnitt, mit falschem Make-up und einem Körper bar des begehrten Waschbretts kann er sich nur noch wegschließen. Das schwule Paradies ist nicht für jedermann.

Diese Spielregeln hat Marcello schnell begriffen. Als der zugereiste Römer nach seinem Coming- out in den Spiegel blickte, erkannte er sofort, daß er Hetero bleiben kann, wenn er bleibt, wie er ist: mit diesem Hang zur Fettleibigkit und einem Haarausfall, der mit jedem Lebensmonat an Tempo gewinnt. Marcello handelte sofort. Er vergaß die Pasta-Rezepte seiner Heimat und ernährte sich fortan nur noch von Hüttenkäse, Geflügelschenkeln und grünem Salat. Bei jedem Kilo weniger legte er eine Callas-Arie auf und wurde wehmütig und euphorisch zugleich.

Wie Männerkörper aussehen müssen, um andere Männer zur Raserei zu bringen, wußte er aus den lockeren Pin-up-Journalen, die er in einer neutralen Plastiktüte allmonatlich nach Hause trug. Marcello schrieb sich in einem Sportstudio ein, mit einer Jahreskarte und zwei Besuchen wöchentlich, Minimum.

Drei Jahre und sieben Monate später ging Marcello zum erstenmal an den Badesee, der im schwulen Stadtführer empfohlen wurde. Nur mit einer Badehose bekleidet! Bei jedem Schritt schaute er den Männern ins Gesicht, die so appetitlich gelangweilt auf der weiten Wiese lagen. Keiner von denen, die kurz zu ihm aufblickten, war zusammengezuckt oder gar in ein Lachen ausgebrochen. Er hatte genau aufgepaßt. Sein neuer Körper hielt den Blicken stand.

Jetzt kam der Kopf an die Reihe. Von Haar konnte inzwischen kaum noch die Rede sein, füllige Locken bedeckten den unteren Teil seines Hinterkopfes bis weit in den Nacken hinab, der pralle Rest war nackt. Von einem Kollegen, der ihn – in Erinnerung an die verehrte Operndiva – heimlich Maria nennen durfte, bekam er die Adresse des Chirurgen an der Côte d'Azur. „Du wirst mit einer Mähne zurückkommen“, flüsterte der Vertraute ihm zu, bevor Marcello nach Nizza flog.

Am siebten Tag war er wieder zurück und huschte mit einem Basecap tief ins Gesicht gezogen in seine Wohnung, die er für eine weitere Woche nicht mehr verließ. Bei langen Telefongesprächen berichtet er seinem Kollegen von den Abenteuern im Süden, die Callas sang tröstend dazu im Hintergrund: Man habe ihm zunächst am Hinterkopf einen breiten Haarstreifen herausgetrennt und die Kopfhaut über die frei gewordene Stelle nach unten gezogen und festgenäht. Dann sei der Streifen in lauter kleine Teile geschnitten worden, die man weiträumig auf seinem Kopf implantiert habe. Und den Verband könne er schon in ein paar Tagen abnehmen.

Inzwischen sind wieder drei Jahre vergangen, und Marcello war noch zweimal in Nizza. Bei seinem letzten Besuch ließ er sich zusätzlich die Schlupflider liften sowie die Falten im Analbereich, von den Schwulen liebevoll „Rosette“ genannt, per Laserstrahl beseitigen. Heute geht Marcello ohne Zögern auf die Straße und registriert mit Genugtuung, daß keiner sich nach ihm umdreht. Denn niemand hat mehr eine Ahnung von dem fetten Italiener mit Glatze, der er hätte sein müssen, wenn er nicht verzaubert worden wäre.