Razzia gegen Pädophile

■ Französische Polizei beschlagnahmt Kinderpornos. Zahlreiche Verhaftungen

Paris (taz) – „Ado 71“ heißt der jüngste Schlag der französischen Ermittler gegen das Pädophilenmilieu. Im Rahmen dieser Aktion durchsuchten gestern und vorgestern 2.500 Polizisten landesweit über 800 Haushalte, beschlagnahmten Tausende von Videokassetten – darunter 307 mit pädophilem Inhalt –, nahmen Dutzende von Personen fest und eröffneten 181 Ermittlungsverfahren. Es war die zweite Großrazzia im Pädophilenmilieu binnen weniger Monate. Wie schon bei „Willy“ waren auch dieses Mal wieder eher die Käufer als die Hersteller und Großhändler von Videokassetten mit pädophilem Inhalt betroffen.

Den ganzen Tag über berichteten gestern die französischen Medien von dem „abscheulichen Inhalt“ der beschlagnahmten Kinderpornos, auf denen unter anderem Vergewaltigungen und Sex mit Tieren zu sehen sein sollen. Über diese empörten Andeutungen hinaus war lediglich zu erfahren, daß unter den mißbrauchten Kindern und Jugendlichen möglicherweise Polen seien. Am Nachmittag erklärten Polizeisprecher, daß unter den Festgenommenen auch Vergewaltiger seien.

Die Großrazzia trug den Namen „Ado“ – wie die umgangssprachliche Abkürzung für Jugendlicher – und „71“, wie die Zahl der Angeklagten bei dem gegenwärtig in Paris laufenden Prozeß gegen Pädophile, die bei „Willy“ aufgeflogen waren. In den vergangenen Tagen hatten einzelne Angeklagte gegenüber den Medien erklärt, daß sie im Gegensatz zu ihren bisherigen Verlautbarungen sehr wohl geahnt oder sogar gewußt haben, daß die Sexdarsteller auf ihren Pornokassetten Minderjährige waren. Zahlreiche Experten mahnten, daß der Umgang mit Videos pädophilen Inhalts bloß der Anfang sei. Aus dem Videogucken würde schnell eine Gewohnheit werden. Später – „wenn ein eigenes Kind da ist“ – sei der Schritt zum aktiven Kindesmißbrauch nicht mehr besonders groß.

Seit Monaten laufen in Frankreich, unterstützt durch den Schock, den die Dutroux-Affäre im benachbarten Belgien ausgelöst hat, intensive Kampagnen gegen Kindesmißbrauch. Eine kostenlose Notrufnummer für betroffene Kinder wurde eingerichtet. Ein Gesetz ist in Vorbereitung, das die chemische und hormonelle Zwangsbehandlung von Sexualstraftätern vorsieht.

Und auffallend häufiger als zuvor werden gegenwärtig Fälle von Pädophilie bekannt, wobei die mutmaßlichen Täter oft Geistliche, Lehrer oder Trainer sind. Der bislang massivste Fall ist der eines pensionierten Lehrers aus einer Kleinstadt in Zentralfrankreich, der jahrzehntelang Dutzende von Kindern mißbraucht haben soll, ohne daß jemand etwas davon geahnt haben will. Die Reaktionen auf die Großrazzien im französischen Pädophilenmilieu sind unterschiedlich. Während manche Eltern meinen, daß die Abschreckung durchaus wünschenswert sei, argumentieren die Sprecher von Lobbygruppen zum Kinderschutz, daß die eigentlich Verantwortlichen ungeschoren davonkommen. Zudem könnten landesweite Pädophilennetze überhaupt nur mit Protektion auf allerhöchstem Niveau funktionieren. Dorothea Hahn