Ein Schritt, kein großer

■ Amsterdam: Die EU bleibt politisch unterentwickelt

Elektrisierend war nur die Inszenierung: Daß die EU-Regierungschefs sogar das Mittagessen kalt werden ließen, um an den heiklen Passagen zur Institutionenreform zu feilen, daß wieder einmal bis früh in den Morgen redigiert wurde – dies allein sorgte für Aufregung. Am Ende war alles langweilig wie gehabt: ein bißchen mehr Mehrheitsentscheidungen, ein aufgewerteter Kommissionspräsident, ein paar Koordinierungsschritte, Vertagung umstrittener Passagen – c'est tout. Die politische Union will, im Unterschied zu Binnenmarkt und Währungseinheit, nicht so recht vorwärtskommen.

Symptomatisch ist, worauf man sich nicht einigen konnte. So ist die Reform der Kommission weitgehend verschoben, ebenso die Angleichung der Stimmengewichtung im Rat. Die wäre ein ambivalenter Schritt, zum Teil jedoch in die richtige Richtung. Einerseits ist demokratisch mangelhaft, daß in EU- Europa das Prinzip „One (wo)man, one vote“ nichts gilt; daß beispielsweise eine österreichische Stimme doppelt soviel zählt wie eine deutsche. Dieses Mißverhältnis aus der Welt zu schaffen, wäre angebracht. Doch solange Europa im strengen Sinne politisch ungeeint und das Europäische Parlament nicht mit jenen Kompetenzen ausgestattet ist, die ihm zukämen, geht auch der Streit um die Stimmengewichtung ins Leere. Dann handelt dieser nicht vom Ringen um mehr Demokratie, sondern bloß von einer neuen Machtverteilung im ewigen bargaining zwischen den Regierungen.

So bleibt weiter nur die Hoffnung, daß der Druck zur politischen Union auch künftig von den Märkten und vom Euro-Geld ausgeht, daß also die Regierungen irgendwann gezwungen sein werden, auf die ökonomischen Fakten, die sie schaffen, politisch zu reagieren. Dies wird nicht häufig so offen ausgesprochen, wie von dem Grünen Joschka Fischer zuletzt in der Zeit: „Ich hoffe auf einen von der Währungsunion und dem Euro ausgelösten Integrationszwang Europas.“

Daß Europa mit dem Euro ohnehin über einen verläßlichen Integrationsmotor verfügt – dies ist die positive Deutung. Daß Europa nach Amsterdam ein auf den Markt und aufs Monetäre ausgerichtetes, politisch unterentwickeltes Projekt bleibt – die negative. Amsterdam war ein Schritt, kein großer, nur partiell in die richtige Richtung. Robert Misik