Bremer Polizei rüstet auf

■ Innendeputation beschließt Einsatz von „Deformationsgeschossen“/ Kritiker sehen darin eine „unmenschliche“Aufrüstung mit enormem Gefahrenpotential / vgl. Interview Seite  22

Bremens PolizistInnen sollen künftig eine neue – aber höchst umstrittene – Munition benutzen dürfen. Das segnete gestern die Bremer Innendeputation gegen die Stimmen der Grünen ab. Statt der bisher verwendeten Vollmantelgeschosse können künftig sogenannte Deformationsgeschosse aus weicherem Material benutzt werden. Damit soll eine größere „Mann-Stopp-Wirkung“erzielt werden. Sprich: Die neuen Kugeln reißen beim Aufschlag durch die Deformation größere Löcher und verursachen teilweise einen Schock, wodurch die Täter schneller außer Gefecht gesetzt werden. Dies wird von Kritikern aus humanitären Gründen strikt abgelehnt.

Darum soll der neue Beschluß offensichtlich nur mit gewissen Einschränkungen gelten. „Wir haben uns darauf geeinigt, die neue Munition nur für mobile oder Spezial-Einsatzkommandos (MEK und SEK) mit einer besonderen Schulung zuzulassen. Es wird also nicht jeder Polizeibeamte mit den Deformationsgeschossen ausgerüstet“, erläutert Jens Böhrnsen, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

Dies war jedoch nicht der einzige Grund für die Entscheidung. Bisher gab es Probleme mit den anderen Bundesländern. Bis auf Schleswig-Holstein wird die weiche Munition durchgängig benutzt. Dadurch ergab sich laut Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) das Problem, daß ein SEK aus einem anderen Bundesland diese Munition in Bremen nicht einsetzen durfte. Als weiteren Faktor verweist Borttscheller auf sogenannte Querschläger. Vollmantelgeschosse können bei einem Durchschuß mit bis zu 40 Prozent ihrer Energie weiterfliegen und damit andere PolizistInnen oder Umstehende gefährden. „Diese Gefahr wird mit der neuen Munition stark verringert“, betonte Borttscheller.

Zudem soll künftig auch der Einsatz von CS-Gas in Sonderlagen – wie Geiselnahmen oder Entführungen – für die Bremer Polizei erlaubt werden. Böhrnsen von der SPD betonte allerdings gegenüber der taz, daß es nicht bei Demonstrationen zum Einsatz kommen wird.

Die CDU-Fraktion hatte die Neuerungen schon seit langem gefordert. Der Koalitionspartner SPD hatte damit allerdings genauso lange Bauschmerzen. Zum Schluß ließen sich die Sozialdemokraten dann von mannigfaltigen Gutachten überzeugen. Ob das Einlenken der SPD aber tatsächlich „für die innere Sicherheit ein großer Schritt nach vorne ist“, so die CDU, zweifelt die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer PolizistInnen stark an. Nach Auffassung des Vorstandsmitglieds Manfred Mahr ist kein Argument für die Einführung der Deformationsgeschosse stichhaltig. „Querschläger sind überhaupt nicht das Problem bei einer solchen Situation“, so Mahr. Er glaubt im Gegensatz zu Innensenator Ralf Borttscheller sogar, daß die Gefahr für Umstehende und beteiligte PolizistInnen eher größer wird. Den „Vorteil“durch die höhere Fluchtunfähigkeit eines Täters hält Mahr zudem durch die starken Verletzungen für „unmenschlich“(vgl. Interview S. 22).

Auch ein Beispiel aus der jüngsten Zeit gibt angesichts der neuen Geschoßtaktik zu denken. Wie berichtet, war am Morgen des 27. Oktober vergangenen Jahres auf der Autobahn  27 eine 18jährige Bremerin durch einen Bauchschuß schwer verletzt worden. Gegen eine Polizistin wurde jetzt vor dem Bremer Amtsgericht Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung erhoben. Die junge Bremerin schwebte in akuter Lebensgefahr. Laut Mahr hätte sie die Tragödie bei einem Treffer mit Deformationsmunition „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht überlebt. Und dies ist leider kein Einzelfall.“ Jens Tittmann