Ost-See-Siedler

■ Actor-Jazz: Holger Friedrich war als „Bademeister“ in der Kulturbrauerei

Da war es wieder. Jenes Sprechen in Andeutungen, das diskontinuierlich den Kern der Dinge mehr umkreist als benennt, voller unbekannter Erscheinungen, Bedeutungen und Abgründe. Es waren diese Botschaften aus den Nischen eines anderen Landes, die nach dem Fall der Mauer Begegnungen zur merkwürdigen Sinnsuche im Dschungel fremder Erfahrungen machten. Auswärtsspiele, in denen sich der Besucher-West, wiewohl er die Regeln zu kennen glaubte, in die Defensive einer umfassenden Erklärungs- und Fragenotwendigkeit gedrängt fand. Holger Friedrichs „Der Bademeister“ ist ein idealtypischer Fall dieses Ost-Erfahrungssprechens. Aus Erinnerungsfetzen, Liedern und Tagträumen setzt der 38jährige Eisenhüttenstädter seine „Geschichte eines peinlichen Waldsees“ zusammen. Von den Spitzdachzelten der ersten fünf See-Siedler, zu den Hauszelten und winterfesten Bungalows der späten Ostzeit. Von stillen nudistischen Spielen in unberührter Natur zu den Wochenendqualen inmitten von kreischenden Gören, hochgerüstet mit Tonnen von „aufblasbaren Badeutensilien“. Aus den Splittern erwächst eine fragmentarische Kulturgeschichte des DDR-Campings. Ihr sinnliches Material ist Friedrichs ohrenverwirrend geprustete, gezirpte, geblasene, geknarrte Geräuschkulisse. Von nächtlichem Liebesspiel auf quietschender Campingliege, dem saugenden Gehen im Schlamm, der Reißverschluß-Orgie beim morgendlichen Öffnen der Zelte.

Der Darsteller, barfüßig und bärtig, im bodenlangen Gewand, mit bloßem, veritabel gerundetem Bauch, ist ein Geschichten- erzähler. In vielen Rollen. Der Vorführer im notorischen Zeltkino, mit seinem Traum von der brennenden Kinoschachtel: „Beim Schwimmen nehm' ich immer das Wasser in den Mund“; der grantelnde Platzwart: „Hier hat doch einer Milzbrand“; der Ur- Nudist auf nächtlichem Besuch im Zelt von Schwester Beate: „Kann ich zu dir? Bei mir is' alles naß, ich bin mit 'm Arsch an die Zeltwand gekommen“; der ideelle Gesamt-Camper, der ständig betont: „Es ist immer noch schön.“

Seit zwei Jahren entwickelt Holger Friedrich den „Bademeister“ als work in progress weiter. Mal in der großen Version mit fünf Darstellern und Zeltkino-Stahlgerüst, mal, wie letzten Mittwoch abend in der Kulturbrauerei als moderner Mythenerzähler solo. Wie die schwindende Erinnerung verändert sich dabei auch die Geschichte. Ihr neuester Höhepunkt, geborgt bei Peter Greenaway: die Ertränkung von Schwester Beate mit anschließendem Selbstersäufnis, „der einzige Weg, um einmal ein Gefühl zu bekommen“. Nikolaus Merck