■ Die Neue Rechte hat längst eine Reihe von Diskursen besetzt. Gefährlich ist sie gerade wegen ihrer Unauffälligkeit
: Die neue „Konservative Revolution“

Es ist noch nicht lange her, da wurden diejenigen, die von einer „Neuen Rechten“ in Deutschland sprachen, als Verschwörungstheoretiker abgetan. Das hat sich geändert. Spätestens seit drei Jahren, als die Verfassungsschützer von Hamburg und Nordrhein-Westfalen in ihren Berichten eine „Neue Rechte“ erwähnten, öffneten sich die meisten Medien diesem Phänomen und bestätigten damit ein weiteres Mal, wie sehr der Verfassungsschutz bei der Vermessung der extremen politischen Positionen über ein Monopol verfügt. Gleichwohl ist die Einschätzung einer Neuen Rechten durch die Landesämter und durch das Bundesamt für Verfassungsschutz alles andere als einheitlich: Bayern etwa und andere B-Länder drücken sich noch immer um ihre Erwähnung. Nordrhein-Westfalen hingegen bewertete diese neurechten Intellektuellenzirkel als die bedeutendste Gruppierung im Rechtsextremismus.

Was macht die Neue Rechte so schillernd? Wer nur gewohnt ist, sein Augenmerk auf politische Organisationen und Institutionen zu richten, verfehlt die Neue Rechte: Sie ist keine Partei, kein Verband kein Verein, sondern eher ein lockeres, informelles Netzwerk rechter Intellektueller, die sich auch schon mal jungkonservativ nennen. Diese Kooperation schließt Konkurrenz untereinander nicht aus. Das einigende Band ist ideologischer Art und umfaßt jenes Gedankengut, das schon in der Weimarer Republik unter „Konservativer Revolution“ bekannt war und als dessen wichtigster Promotor der Staatsrechtler Carl Schmitt gelten kann.

Schmitts Freund-Feind-Theorie geht von dem zentralen Gedanken einer ständigen Bedrohung aller menschlichen Gemeinschaften durch innere und äußere Feinde aus, der nur durch – notfalls auch mit Gewalt hergestellter – Homogenität und Kampfbereitschaft begegnet werden kann. Pluralismus, partizipative Demokratie und Multikulturalität führen folglich zur Zersetzung des Staates. Nur einer Nation, die sich nicht als Abstimmungsgemeinschaft, die im Widerspiel von Konflikt und Konsens wirkt, sondern als Abstammungsgemeinschaft versteht, traut man in unsicheren Zeiten Selbsterhaltung zu.

Wo ist der Unterschied zu einer „alten“ Rechten bzw. zum Rechtsextremismus? Hier muß der Blick über den weitgehend gemeinsamen ideologischen Kernbestand hinausgehen und die unterschiedlichen Radikalisierungen, Strategien und Taktiken miteinbeziehen. Dabei wird klar erkennbar, daß die Neue Rechte sich vergleichsweise „softer“ Vorgehensweisen bedient. Dennoch hat sie sich im rechten Binnenbereich eine zumindest intellektuelle Führungsrolle erarbeiten können. Je stärker nämlich dieses Lager durch staatliche Beobachtung verunsichert oder durch Verbote partiell zerschlagen wurde, um so mehr empfahl sich der Rückzug auf Positionen, die nicht unmittelbar als „verfassungsfeindlich“ gebrandmarkt werden konnten.

Doch die eigentlich Pointe ist: Die Neue Rechte war und ist durchaus in der Lage, über den rechtsextremen Bereich hinaus auch in das gesellschafts- und politikfähige konservative Lager hineinzuwirken, und zwar hauptsächlich über die Besetzung von Begriffen und politischen Bildern. Daß läßt sich mühelos etwa an der Asyldebatte nachweisen. Dabei ist nicht entscheidend, ob politische Akteure bewußt den neurechten Zug besteigen. Muß man noch an Wolfgang Schäubles wiederholte Äußerungen von der „Schutz- und Schicksalsgemeinschaft“ erinnern oder an Stoibers – allerdings zurückgenommenen – Ausrutscher von der Gefahr einer „durchraßten und durchmischten Gesellschaft“, um deutlich zu machen, wie stark die Begriffs- und die Bilderwelt – und damit die politische Realität – von neurechten Gedanken durchsetzt sind?

Dies alles ist hinlänglich beschrieben und belegt. Verständlich indes ist, daß sich die konservativen politischen Eliten nicht gerne mit einer Neuen Rechten in Verbindung bringen lassen, die ihrerseits, je nach Opportunität, eben auch im rechtsextremen Lager mitmischt. So verwundert es nicht, daß in allerletzter Zeit der personellen Abgrenzung durchaus mehr Aufmerksamkeit gewidmet wurde: Die Trennung des Springer-Verlags vom neurechten Medienguru Herbert Fleissner, der Stopp des Aufstiegs des Rainer Zitelmann in der Welt-Hierarchie, die zunehmende Distanz, die man dem ehemals geradezu als Star gehandelten neurechten Vordenker Karlheinz Weißmann derzeit entgegenbringt, können als Anzeichen wachsender Einsicht in die Brisanz solcher Verbindungen gesehen werden. Doch läßt sich die bereits vollzogene Kontaminierung des öffentlichen Bewußtseins mit neurechten Begriffen und Wirklichkeitsbildern so einfach wieder rückgängig machen?

Wir wissen etwa aus Studien über studentische politische Kultur, daß sich die neurechte Botschaft in manchen Fachbereichen bei erstaunlich vielen Studierenden, und durchaus nicht nur bei Burschenschaftlern, wachsender Beliebtheit erfreut. Und wenn der neuesten Shell-Studie „Jugend '97“ zufolge mehr als 80 Prozent der deutschen Jugendlichen für „bestimmt“ bzw. „wahrscheinlich“ halten, daß „gewalttätige Konflikte das Leben zunehmend unsicherer machen“ werden, kann man sich des Frohlockens der Neuen Rechten über diesen Befund sicher sein: Die Jugend stelle sich endlich auf die Realität des Politischen ein, in der sie Gewalt und Kampf als unausweichliches Moment erkenne. Jetzt komme es nur noch darauf an, die notwendigen praktischen Konsequenzen zu ziehen, nämlich Festigung der Kampfbereitschaft eines starken, autoritären Staates, und zwar im Rahmen einer ethnisch und kulturell möglichst homogenen Nation. Eine politisch entfremdete Jugend, die sich – so die Shell-Studie – den drückendsten arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Problemen nur noch als „Opfer“ ausgeliefert sieht und die die Hoffnung aufzugeben scheint, daß dieser Misere mit herkömmlichen politischen Mitteln beizukommen ist, könnte in der Tat auf die neurechten politisch- ideologischen Angebote hereinfallen. Zumal ihr Vertrauen in die parlamentarischen Institutionen ohnehin auf dem Tiefpunkt angelangt ist.

Noch, so die Studie, sei das Gewaltpotential der Jugendlichen „sehr niedrig“. Aber wenn Gewalt erst einmal gesellschaftlich-politisch legitimiert ist, gibt es kaum ein Halten mehr. Erleben wir nicht heute schon aus der rechtsextremen Szene genug Gewalt gegen Minderheiten? Wolfgang Gessenharter