Chilenische Polizei besetzt Colonia Dignidad

■ Mit einer großangelegten Aktion wollen Sondereinheiten den wegen sexuellen Mißbrauchs gesuchten Leiter der Siedlung stellen. Bewohner warnen vor Eskalation

Buenos Aires (taz) – Bei der Fahndung nach dem mutmaßlichen Kinderschänder Paul Schäfer hat die chilenische Polizei die deutsche Siedlung Colonia Dignidad besetzt. Sie werde erst abziehen, wenn sie den Gründer und Leiter der Siedlung gefaßt habe, sagte ein Polizeisprecher am Mittwoch abend. Siedler der Kolonie warnten vor einem „dramatischen Ende“, falls die Polizei nicht abziehe. Ihr Führer werde sich eher umbringen als sich freiwillig stellen. Schäfer wird wegen sexuellen Mißbrauchs eines Jungen mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Bereits am Mittwoch morgen standen rund 600 chilenische Carabineros vor den Toren der Colonia Dignidad, knapp 250 davon machten sich auf dem Gelände auf die Suche nach Schäfer.

Die Razzia dauerte elf Stunden. Die Colonia-Bewohner mußten dabei ihre Häuser verlassen und in einem Zelt ausharren, bis ihre Behausungen durchsucht wurden. Die Polizei, unterstützt von Hubschraubern, graste mit Spürhunden und Metalldetektoren einige Häuser ab und riß zum Teil kleine Stellen im Fußboden auf. Ein Bulldozer und Telekommunikationseinrichtungen wurden beschlagnahmt. Mit dem Bulldozer wollten die Colonia-Bewohner Proteste der Angehörigen verhindern, deren Verwandte in der Colonia Dignidad verschwunden sind. Zum erstenmal durften Pressevertreter bei der Aktion mit dabeisein und gemeinsam mit der Polizei das Gelände der deutschen Sektenburg betreten. Der Kommandant der Polizei, Mario Flores, gab an, seine Leute hätten nach „Personen, Sprengstoff und Material gesucht“. Der chilenische Präsident Frei deckte die erneute Durchsuchung und sagte, damit „unterstützen wir die Justiz und den Richter“.

Es war die bisher größte Durchsuchung der 1961 gegründeten Sektenburg. Allerdings wurde aus Sicherheitskreisen bekannt, daß dies erst der Auftakt zu einer größer angelegten Aktion sei. Innenminister Carlos Figuera verkündete dann auch, daß man so lange weitersuchen werde, „bis Schäfer festgenommen ist“.

Verhaftet wurde am Mittwoch erst mal der Doppelgänger Schäfers, Max Rudolph. Der Deutsche soll sich am Wochenende im argentinischen Bariloche unter dem Namen Paul Schäfer in ein Hotel eingemietet haben, um die Ermittlungsbehörden zu verwirren. Rudolph entging der Polizei nur knapp durch einen Sprung aus dem Fenster. Bereits am Dienstag verhaftete die Polizei zwei hochrangige Verantwortliche der Colonia Dignidad. Hartmut Hopp, Chef des Krankenhauses, und Gerd Seewald sind enge Vertraute von Schäfer. Den beiden Colonia- Schlägern, die vor gut einem Monat ein ARD-Kamerateam verprügelt hatten, wurde von einem Gericht in Chilan ihre Freiheit zugesichert. Ingo Malcher