Frankreich schaltet schnellen Brüter ab

■ Premierminister Jospin setzt Zeichen in der Ausländerpolitik. Enttäuschend sind die Aussagen der neuen Linksregierung zum Arbeitsmarkt. Das Ja zum Euro steht

Paris (taz) – Der Atomstaat Frankreich steigt aus. Zumindest aus dem schnellen Brüter. Das kündigte Premierminister Lionel Jospin gestern nachmittag in dem mutigeren Teil seiner Regierungserklärung an. Fortschrittlich zeigte er sich auch in Sachen Immigrationspolitik, in der er zum Bodenrecht zurückkehren will, und in Sachen Justiz, deren Unabhängigkeit von politischen Freundschaften er fürderhin garantieren will.

Enttäuschend waren dagegen Jospins Projekte für den Arbeitsmarkt. Die angekündigte Arbeitszeitverkürzung auf die 35-Stunden-Woche schob er auf die lange Bank („vor Ende der Legislaturperiode“), sein Widerstand gegen die Schließung des Renault-Werks im belgischen Vilvoorde schrumpfte auf den Satz: „So etwas darf nicht wieder passieren.“ Und die erwartete Erhöhung des Mindestlohns beschränkte er auf lächerliche 75 Mark brutto. Die Kommunisten in der Nationalversammlung zogen lange Gesichter, als Jospin im zweiten Teil seiner einstündigen Rede die vier Prozent Erhöhung des Mindestlohns bekanntgab. Nachdem sie im Wahlkampf rund 500 Mark Erhöhung propagiert hatten, hatten sie von dem sozialistischen Koalitionspartner entschieden größere Zugeständnisse erwartet.

Verbissen guckte auch der neue Innenminister Jean-Pierre Chevenement, Chef der Bürgerbewegung, die mit der KPF den entschiedensten Anti-Maastricht-Kurs der Regierungskoalition propagiert. Jospin wiederholte sein grundsätzliches Ja zur Währungsunion. Er sparte nicht mit Eigenlob für seinen Erfolg beim EU-Gipfel in Amsterdam. Dort hatte er den Stabilitätspakt unterzeichnet, den er im Wahlkampf heftig kritisiert hatte, und im Gegenzug ein Beschäftigungskapitel ausgehandelt. Mehr als das sei in den wenigen Tagen, die ihm zur Verfügung standen, nicht drin gewesen, erklärte Jospin unter den Buhrufen der Opposition.

Am lautesten wurden die konservativen Proteste, als Jospin den Ausstieg aus dem Rhein-Rhône-Kanal-Projekt und die Stillegung des Superphönix in Creys- Malville bekanntgab, den die grüne Umweltministerin Dominique Voynet für ihren Einstieg in die Koalition ausgehandelt hatte. Während der Regierungserklärung demonstrierten mehrere hundert Atomfreunde in Lyon. Dorothea Hahn