Schlipsen an den Kragen

Wenn fluchtartig der Sitzungssaal verlassen wird, debattiert die Bürgerschaft Frauenthemen – eine neue Studie des Landesfrauenrats  ■ Von Silke Mertins

Der Uhrzeiger neigt sich der Neun zu. Fünf Stunden wurde bereits debattiert. Nun wird der nächste Tagesordnungspunkt aufgerufen: die Gleichstellung von Frauen. Fluchtartig verlassen zwei Drittel der Bürgerschaftsabgeordneten den Saal. Erst mal aufs Klo, ein Würstchen essen, vor der Tür ein Schwätzchen halten. Von den wenigen Verbliebenen liest mindestens die Hälfte Zeitung, andere sind eingenickt. Die Presse ist längst weg.

Wer jemals eine bürgerschaftliche Diskussion zu Frauenthemen erlebt hat, kann nur, wie Sonja Deuter, zu dem Schluß kommen, daß „Frauenthemen meist zu den letzten Tagesordnungspunkten gehören, d.h. daß es immer ,wichtigere' Punkte gibt“. Und: „Mit Frauenpolitik sind keine Lorbeeren zu ernten.“Sonja Deuter hat im Auftrag des Landesfrauenrates eine Studie mit dem Titel „Hammonias Töchter fragen nach: Frauenpolitik in Hamburg – zwischen Versprechen und Wirklichkeit“erstellt.

Sie geht der Frage nach, was die Parteien versprechen, was sie jenseits der Quote halten und was Frauenpolitik in der parlamentarischen Arbeit bewirkt. Die Ergebnisse sind vernichtend. Von den 4873 Vorgängen – Anfragen, Anträge, Drucksachen – dieser Legislaturperiode befassen sich nur 89 mit frauenspezifischen Ansätzen. Das entspricht 1,7 Prozent.

Peinlich für die SPD: Die CDU stellte mehr Anträge und Anfragen zum Thema als die Sozialdemokratie, nämlich 15. Die Sozis nur zehn. Schlimmer noch: Die seit zwei Jahren in der Bürgerschaft sitzende frauenpolitische Sprecherin der SPD, Maren Piske, hatte im Untersuchungszeitraum – bis Ende 1996 – nicht einen Antrag, keine einzige Anfrage an den Senat gestellt.

Ein Lichtblick unter den frauenpolitischen Sprecherinnen der Bürgerschaftsfraktionen ist die Christdemokratin Karen Koop. Mit ihren originellen Redebeiträgen hat sie schon so manchen Parlamentarier aus dem Schlaf gerissen. Zum Beispiel: Nicht die Berufstätigkeit der Frau bringe die Familie in die Krise, sondern Männer, „die ein bißchen Zorro, ein bißchen Rambo und ein bißchen Tarzan spielen – und sich dann über die Situation der Frau wundern“. Diese Mannsbilder sollten sich fragen, ob sie nicht eher dem Schimpansen Cheetah als Tarzan ähneln. Protokollnotiz: „Heiterkeit im ganzen Hause“.

Sechs der CDU-Vorgänge zu Frauenfragen stammen aus Karen Koops Feder. Allerdings beantragte die CDU auch viermal die Streichungen. CDU-Spitzenkandidat Ole von Beust wollte die Zuschüsse für „Frauenkultur“und das „Frauenfestival“streichen. CDUler Ulrich Karpen versuchte, die Frauenforschung an den Unis zu kippen.

Am fleißigsten arbeitete die GAL-Fraktion. Zwei Drittel der 89 Vorgänge von frauenpolitischer Relevanz sind grün. Im Vergleich zu anderen grünen Politikfeldern ist dies dennoch wenig. Die frauenpolitische Sprecherin Gabriele Dasse wurde deshalb auch parteiintern kritisiert. Die Studie bemängelt ausdrücklich die rhetorische Qualität der GAL-Reden, die „auffällig oft“mit Herumgenörgel darüber eingeleitet würden, daß man bereits bessere Anträge eingebracht hätte. „Unabhängig davon, ob diese Kritik möglichwerweise sogar berechtigt ist oder nicht, ist in jeder Schrift zum Thema ,Lehrgang zum Redeaufbau' nachzulesen, daß so nicht zu beginnen sei.“

In vier Jahren wurden „ganze sechs Anträge mit frauenpolitischer Relevanz von der Bürgerschaft angenommen“, lautet die nüchterne Bilanz der Untersuchung. Die Studie schlägt deshalb die Schaffung eines „Archivs für Frauenpolitik“vor, um die Parlamentsarbeit zu bündeln. Bis eine wirksame weibliche Lobby den „Dornröschenschlaf“beendet, wird es im Hohen Hause der Volksvertretung den Schlipsen wohl nicht ernsthaft an den Kragen gehen.

Hammonias Töchter fragen nach: Frauenpolitik in Hamburg – zwischen Versprechen und Wirklichkeit. Landeszentrale für politische Bildung 040/3681-2160