Geschützte Frauen-Räume

Ein Arbeitskreis will im AK Ochsenzoll Empfehlungen für eine frauengerechte Psychiatrie durchsetzen  ■ Von Lisa Schönemann

Eine Jugendstilvilla. Schon bei dem bloßen Gedanken daran schmieden Frauke Adam und Hildegard Neubauer – Frauenbeauftragte die eine, Psychiaterin die andere – Pläne für „geschützte Räume für Psychiatriepatientinnen“. Da Zuschüsse in Millionenhöhe im Gesundheitswesen so unwahrscheinlich sind wie ein Lotteriegewinn, kehren die beiden Frauen schnell in die Realität zurück: Der Arbeitskreis „Frauengerechte Psychiatrie“befaßt sich mit den wenigen Nischen, die im neuen Klinikum Nord für psychisch kranke Frauen eingerichtet werden können.

Für das Klinikum Nord haben sich die Hamburger Allgemeinen Krankenhäuser Ochsenzoll (AKO) und Heidberg zusammengetan. „Wir wollen erreichen, daß Patientinnen bei der Aufnahme in die Klinik jeweils zwischen einem Arzt und einer Ärztin wählen können“, sagt Hildegard Neubauer, die eine der sieben psychiatrischen Abteilungen des Hauses leitet. Auf diese Weise soll den Neuankommenden das Erstgespräch erleichtert und eine frauenorientierte Diagnose ermöglicht werden. Frauen, die zum wiederholten Male aufgenommen werden, sollen auf die Station zurücckehren können, auf der sie bereits behandelt wurden, und eventuell eine Vertrauensperson vom Pflegepersonal wiedertreffen können.

Frauke Adam hat selbst lange in der Aufnahme gearbeitet. „Angst um das Sorgerecht für die Kinder, an denen sich der Vater unter Umständen während des Klinikaufenthalts der Mutter vergreift, diese und viele andere Sorgen versetzen die Frauen regelrecht in Panik“, weiß die jetzige Frauenbeauftragte. Bestimmte Ängste der Frauen würden von männlichen Kollegen leicht übersehen.

„Es geht uns nicht darum, der gesamten Klinik ein frauengerechtes Konzept überzustülpen“, betont Hildegard Neubauer. Vielmehr sollen die MitarbeiterInnen durch einen langsamen Prozeß von Fortbildungen und Pilotversuchen für eine Verbesserung der augenblicklichen Situation erwärmt werden. Die innerbetrieblichen Angebote zu Themen wie sexuellem Mißbrauch seien zur Zeit voll besetzt, das Echo auf spezielle Supervisionsangebote sei „beeindruckend“.

Andere Fortbildungen kreisen um die Komplexe Frauen und Sucht oder den Machtmißbrauch in der Psychiatrie. „Wir fragen, ob Frauen leichter und mehr Medikamente bekommen als Männer“, sagt Frauke Adam. „Da braucht doch auf jeder Station nur eine Schwester zu sein, die das mal hinterfragt ...“. Der Machtmißbrauch beginnt oft bereits mit einer verweigerten Zigarette, mit geschlossenen Türen und dem nicht genehmigten Wochenendausgang.

Eine reine Frauenstation ist im Klinikum Nord noch Zukunftsmusik. Der Arbeitskreis will erst den Bedarf prüfen, um nicht das Schicksal einer Bremer Klinik teilen zu müssen, in der eine Station für psychisch kranke Frauen nach fünf Jahren wegen fehlender Patientinnen geschlossen wurde. Ähnliches gilt für die Einrichtung von speziellen Angeboten für Frauen und ihre Neugeborenen bei akuter Wochenbettpsychose. Eine große Lücke klafft auch in der Versorgung von Frauen mit Angstneurosen, die durchschnittlich erst nach sieben Jahren Symptomatik in eine Klinik eingewiesen werden, obwohl ein teilstationäres Angebot zu einem früheren Zeitpunkt wesentlich sinnvoller wäre.

Die Tagesklinik könnte die Idee einer Frauengruppe wiederbeleben, die im vergangenen Jahr eingeschlafen ist. Zur Zeit nehmen die dreißig PatientInnen der Einrichtung die Gesprächsgruppen und Beschäftigungsangebote gemeinsam wahr. Auch auf den geschlossenen Stationen werden Frauen und Männer gemeinsam behandelt. Allenfalls die Zimmerfluchten sind nach Geschlechtern getrennt. Seit 54 Betten eingespart werden mußten, sind die Zimmer nur noch mit höchstens drei psychisch Kranken belegt.

Das Senatsamt für die Gleichstellung hatte im Herbst 1994 ein Forschungsinstitut mit einer Untersuchung über die Situation von Patientinnen in der stationären Psychiatrie beauftragt. Frauen, die im AK Ochsenzoll behandelt wurden, berichten in ihren Vorgeschichten über eine Reihe von geschlechtsspezifischen Erlebnissen, die sich später unter Umständen als krankheitsverursachend herausstellen. Defizite im Selbstwertgefühl, ungesicherte berufliche und wirtschaftliche Perspektiven sowie Gewalterfahrungen sind nur einige Faktoren in der Lebensrealität der Frauen in psychischen Ausnahmesituationen.

Viele Frauen waren Gefahren wie sexuellem Mißbrauch durch Vaterfiguren, frühen Schwangerschaften, Verlassenwerden vom Vater des Kindes oder Mißhandlungen durch einen Partner ausgesetzt – Erfahrungen, über die sie nie mit einem Mann sprechen würden. Nach dem Ergebnis der Untersuchung brauchen Patientinnen vor allem Frauenräume, die an ihren Bedürfnissen nach Schutz und Austausch mit anderen Frauen orientiert sind und die Möglichkeit, sich umfassend mitteilen zu können.