Weg von der Insel

■ Wer hier lebt, spart für den Umzug: Die Veddel, der Stadtteil zwischen Hamburg und Harburg, leidet unter schlechtem Ruf

Ein paar Gardinen wurden in der Hektik des Auszugs wohl vergessen. Ansonsten ist das Altenheim am Meckelburgsweg geräumt. Die Bücherhalle Veddel ein paar Straßen weiter ist auch schon geschlossen, offiziell jedenfalls. Die evangelische Kirche soll demnächst mit einer anderen zusammengelegt werden. Die Schularztstelle und die Mütterberatung auf der Veddel arbeiten – noch, und mit reduzierten Sprechzeiten. Und die Hauptschule „haben wir noch mal gerettet“.

Wenn Monika Gawron von der Veddel spricht, „meinem Stadtteil“, dieser backsteinroten 5.000-Seelen-Insel zwischen Hamburg und Wilhelmsburg mit Blick auf Autobahn, Güterverkehrsgleise, Peute-Hafen und Industrie-Schornsteine, dann führt die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete ihren Besuch gern und absichtlich durch die Lebendigkeit der verkehrsberuhigten, begrünten Straßen und der vielen Hinterhöfe.

Dreijährige Knirpse toben zwischen Sandkästen, Blumenbeeten und neuen Rutschen; Frauen, die meisten mit Kopftuch, erledigen Besorgungen am Kiosk. Die Kneipen haben weniger hanseatisches denn südländisches Flair. JedeR zweite, sagt die Statistik des Ortsamtsleiters Udo Springborn, „ist Ausländer, aber die Arbeitslosigkeit liegt wohl im Durchschnitt“. Trotzdem, bedauert Monika Gawron, „hat die Veddel immer noch einen schlechten Ruf“. Deswegen engagiert sich kaum jemand, geht niemand auf die Barrikaden, wenn wieder eine Einrichtung geschlossen werden soll.

Die meisten Häuser des Arbeiterviertels wurden um 1920 gebaut, kleine Wohnungen für große Familien mit geringem Einkommen und Beschäftigung im Hafen oder, später, bei der Norddeutschen Affinerie. Mittlerweile haben die meisten ein eigenes Bad und Heizung. Der Gestank der Industriebetriebe sank dank strenger Umweltauflagen drastisch in den vergangenen Jahren; es gibt inzwischen eine S-Bahnhaltestelle, von der es fünf Minuten bis zum Hauptbahnhof sind.

Die städtische Wohn-Belegungspolitik dagegen blieb, und „deswegen können viele, die vielleicht hier wohnen wollten, wegen des zu hohen Gehalts nicht herziehen“, bedauert Gawron. Und diejenigen, die auf der Veddel leben, sparen, um irgendwann woanders hinziehen zu können. In dem Verein „Veddel aktiv“, der gestern sein zehnjähriges Bestehen feierte und Elternschule und Kinderbetreuung anbietet, Stadtteilfeste organisiert und „das soziale Leben im Viertel verbessern“will, ist Gawron „die einzige Aktive, die auch hier wohnt“.

Die behördliche Statistik erfaßt diese Probleme nicht: Zu wenig Leser, stellte die Kulturbehörde fest, und schloß 1996 die Bücherhalle. Über ehrenamtliche Mitarbeiter ist es Gawrons Verein gelungen, zumindest den Bücherbestand zu halten und Not-Öffnungszeiten für die Noch-LeserInnen zu organisieren. Gawron ist besorgt: „Wenn wir nicht aufpassen, wird das bißchen, wofür wir uns jahrelang eingesetzt haben, auch noch weggespart.“

Heike Haarhoff