Punktsieg für Pierwoß

■ Kommission nahm die Strukturen des Bremer Theaters unter die Lupe / Das Ergebnis: Der Intendant darf weiterhin ein Vier-Sparten-Haus leiten / Die Senatorin mag nicht mehr streiten

Es war ein munteres Schauspiel mit dramatischen Gesten. Damals, zur Jahreswende 1995 auf '96, als der sogenannte Bremer Theaterstreit tobte. Heiß ging es her zwischen dem Intendanten des Theaters am Goetheplatz, Klaus Pierwoß, der Kultursenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) und Ensemblemitgliedern der Bremer Shakespeare Company, die via Souffleurskasten daran teilnahmen. Nun, eineinhalb Jahre später, ist ein Lehrstück aus dem Schauspiel geworden – ein Stück mit der doppelten Moral, nach der Beharrlichkeit siegt und SenatorInnen ihr Gesicht wahren können, auch wenn zweitens alles anders kam als sie erstens dachten.

Denn aus dem Streit war nicht nur ein Kompromiß um die Finanzierung des größten Bremer Theaters hervorgegangen, sondern auch die Gründung einer Strukturreformkommission. Das aus VertreterInnen der Finanz- und der Kulturbehörde sowie aus den Interessengruppen des Theaters und externen Fachleuten zusammengesetzte Gremium hat jetzt seinen Abschlußbericht vorgelegt. Politisch ist der ein Punktsieg für Pierwoß und strukturell in etwa das, was man zu Zeiten der Friedensbewegung „Minimalkonsens“nannte.

„Das Bremer Theater bleibt ein Vier-Sparten-Haus“, machte sich Kultursenatorin Kahrs gestern die erste Empfehlung der Kommission zu eigen und schloß gleich an, daß das Concordia grundsätzlich als fünfte Spielstätte erhalten bleiben soll. Vor dem Hintergrund, daß sowohl das Tanztheater als auch die Experimentierbühne im Stadtteil Schwachhausen noch vor wenigen Monaten existenzgefährdet waren, darf sich Pierwoß bei diesen „konservativen“Meldungen der Senatorin auf die Schulter klopfen.

Als eines der augenscheinlichsten Reformprojekte hat die Kommission die Probensituation ausgemacht. Zur Zeit proben die SängerInnen und SchauspielerInnen in einem Industriegebiet in Flughafennähe. Eine halbe Millionen Mark seines Gesamtetats von jährlich 36 Millionen Mark (mit Orchester zwischen 42 und 43 Millionen Mark) wendet das Theater für die Miete und Heizung dieser schlecht isolierten Hallen auf. Hinzuzurechnen sind der nicht unerhebliche Fahrt- und Personalaufwand für Transporte. Also empfiehlt die Kommission das Naheliegende: Einen Neu- und Anbau auf dem Gelände am Goetheplatz, über dessen Finanzierung nach Kahrs Angaben während einer Sondersitzung des Theateraufsichtsrats Mitte Juli entschieden werden soll.

Weniger augenscheinlich und deshalb auch kaum in Zahlen auszudrücken, sind die Rationalisierungsmöglichkeiten und Reibungsverluste im Betrieb selbst. Mit den Modeworten Dialogkultur, Entscheidungskultur oder Verantwortungskultur wartet Cornelia Dümcke, die professionelle Begleiterin der Reformkommission, auf. Pierwoß und das übrige, in den wichtigen Positionen Kassenleitung, Disposition und technische Direktion neu besetzte Management haben sich neue Kommunikationsstrukturen verordnet. Ein Theater, so Dümcke, „ist eben ein kompliziertes Gebilde“.

Und dazu gehört, daß der Apparat zu Lasten des künstlerischen Bereiches im System Stadttheater immer teurer geworden ist und sich „soziale Errungenschaften“der Gewerkschaften längst gegen die Institution gewendet haben. Sieben voneinander verschiedene Tarifverträge gelten für die rund 400 Beschäftigten im Theater am Goetheplatz. Größtes Kuriosum sind der Normalvertrag Chor und dazugehörige Bremer Hausvereinbarungen.

Demnach werden Tanzschritte, das Singen in einer Fremdsprache oder das Aufsagen von Text (ab sechs Worten) extra vergütet. Zwischen 150.000 und 200.000 Mark jährlich wendet allein das Bremer Theater dafür auf. Trotzdem verständigte sich die Kommission auf den Kompromiß, an diesen Strukturen nicht zu rütteln und statt dessen vorhandene Möglichkeiten zur Flexibilisierung auszunutzen. Kahrs: „Wir haben uns nicht zugetraut, hier bundesweit voranzugehen.“

Wenn man wie BremerInnen auf die Beteiligung aller Interessengruppen setzt, bleiben die großen Überraschungen aus. „Der Bericht hat keine spektakulären Folgen nach dem Motto – jetzt arbeiten vier Sparten so wie die Shakespeare Company“, resümierte Pierwoß. Dennoch ist nach Angaben des Dramaturgen und Kommissionsleiters Uli Fuchs das überregionale Interesse am Bericht groß. Wohl deshalb, weil er sich auf Machbares konzentriert.

Dazu zählt die Empfehlung einer Bespielung des Theaters im Sommer, die bisher mit der Begründung von Urlaubsansprüchen, aber auch wegen zäher sommerlicher Technikschecks durch TÜV und Gewerbeaufsicht nicht auf dem Spielplan stand. Diese Empfehlung ist direkt an eine BesucherInnenbefragung gekoppelt, die nach dem Ratschluß der Kommission Orientierungen für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit liefern soll. Dümcke: „Kein Unternehmen leistet es sich, den Markt nicht zu kennen.“

Doch was für den Markt gilt, gilt offenbar auch für Bereiche des Hauses. Denn nach einem Vergleich mit Theatern anderer Städte ist das Vier-Sparten-Haus am Goetheplatz zwar unterdurchschnittlich subventioniert. Doch die Ausstattung im technischen Bereich ist nicht niedriger. Warum dort trotzdem Überstunden gemacht werden und über hohe Belastungen gestöhnt wird, konnte die Kommission nicht ergründen.

Das Theater bleibt eben ein kompliziertes Gebilde. ck