Wand und Boden
: Also ein Abschied von Bildern in Bildern

■ Kunst in Berlin jetzt: Mikolaj Smoczynski, Gerrit Engel, Biefer/Zgraggen

Die ifa-Galerie zieht in die Dorotheenstraße um – also erst einmal aus ihrem Pavillon an der Friedrichstraße aus. Dieses rätselhafte Bauwerk wurde anläßlich der 3. Weltfestspiele der Jugend 1951 als Provisorium über den Ruinen der zerbombten Außenhandelsbank errichtet.

Doch wie es mit Provisorien so geht, sie halten ewig. Auch die ifa- Galerie haust dort nun schon sechs Jahre, in denen allein 32 Ausstellungen aus Ost- und Mitteleuropa organisiert und 28 Kataloge herausgegeben wurden, eine Reihe, die nun mit dem Katalog zu Mikolaj Smoczynskis ebenso einfacher wie effektvoller „Untersuchung“ des Galerieraums ihren Abschluß findet.

Mikolaj Smoczynski, ein hier noch wenig, in Polen aber weithin bekannter Foto- und Installationskünstler, hat den Innenraum des Pavillons in seiner ursprünglichen Form freigelegt. Allerdings malte er ihn auch gänzlich in einem satten Grau aus. Damit ist das Offengelegte auch schon wieder verborgen; zumindest ist es nicht das, was es ohne seinen Eingriff wäre.

Völlig sicher, was dem Eingriff und was der vorhandenen Substanz geschuldet ist, kann sich der Besucher nicht sein. Der durchgebrochene Boden, den man der Kunst zuschreiben möchte, war – so erkennt man verblüfft – der Grund für die mächtige, schützende Eckkonstruktion, die in den zweiten Galerieraum hinein ragte. Die abblätternde Decke hat dagegen Smoczynski zu verantworten. Im Dämmergrau erscheint sein Raum als schlichtes, nachdrückliches Abschiedsbild.

Bis 20. 7., Di.–So. 14–19 Uhr, Friedrichstraße 103

Auch die Fotografien von Gerrit Engel sind Abschiedsbilder. Von den großen Getreidesilos in Buffalo, im amerikanischen Bundesstaat New York. Nur das mangelnde Geld hat bislang den Abriß der „Buffalo Grain Elevators“ verhindert. Im strengen Sinne sind Engels Fotografien jener Zweckbauten des Industriezeitalters jedoch ein Abschied von Ikonen der Architekturgeschichte. Also ein Abschied von Bildern in Bildern.

Die dreißig Farbfotografien von moderatem Format in der Galerie Aedes East stehen gegen die Bilder im Kopf. Gegen neun Schwarzweißaufnahmen, die Walter Gropius 1913 im Jahrbuch des Deutschen Werkbunds veröffentlichte; die Le Corbusier nach dem Krieg in „L'Esprit Nouveau“ nachdruckte – wobei er, um ihre Monumentalität noch zu steigern, nicht vergaß, sie zu retuschieren; die Erich Mendelsohn 1926 für sein „Amerika“ betiteltes „Bilderbuch eines Architekten“ noch einmal fotografierte; was dann auch Reyner Banham tat, als er 1986 „A Concrete Atlantis“ wiederentdeckte. Beide, Mendelsohn wie Banham zeigen übrigens etwa den gleichen Bildausschnitt wie Gropius. „Ikonen“ sind ein Phänomen der modernen Medienrealität: Fotos, die aus Gebäuden Architektur machen, und aus der menschlichen Figur einen Starschnitt. Architektur und reale Bauten sind dann zweierlei, das erkannte Le Corbusier richtig, seine Retusche war nur konsequent. Schließlich hat Architektur ihren Ort in Zeitschriften, Büchern und Ausstellungsräumen. Engels Fotografien dagegen sind Dokumente. Sie zeigen die Giganten von fern, aus nächster Nähe, im zerfallenden Innern und von außen mit der Figur eines Freizeitanglers im Vordergrund. Das diffuse Licht, in dem er die Stahlbetonröhren auf die Platte bannt, rückt seine Bilder der Becher-Schule näher als den Siloburgen Mendelsohns. Aber einmal scheint die Sonne doch, und dann destruieren die Schlagschatten den Becherstil, so wie der Hobbyangler den Moderne-Mythos ruiniert. Tatsächlich setzt Engel gegen alle Fotoklassiker eine eigenständige, anschauliche Sicht auf die inzwischen kaum noch genutzten, dem Verfall preisgegebenen Getreidespeicher am Buffalo River durch.

Bis 8. 7., Di.–Fr. 10–18.30, Sa. 11–14, So. 12–17 Uhr, Rosenthaler Straße 40/41

Neun Tische mit neun Monitoren, davor je drei Stühle mit Kopfhöreranschluß: So haben Marcel Biefer und Beat Zgraggen das Studio II im Künstlerhaus Bethanien für ihr „Telekolleg Kunst“ ausgestattet. Ihre Homevideo- Produktion in Sachen „Betriebssystem Kunst“ begleitet den Adressaten – gründliche Schweizer, die sie sind – von der Wiege bis zur Bahre, von der „Früherziehung“ bis zur „Geriatrie“. Weitere Unterrichtseinheiten zu „Vernissage“ oder „Installation“ geben dem Duo Biefer/Zgraggen, das sämtliche handelnde Personen verkörpert, Gelegenheit für die idiotischsten Kalauer. Das gewandelte Verhältnis von Künstler und Modell, das nun in allenthalben aufgeklebten Pin-ups besteht, und Künstlern, die in Spanplatten Löcher bohren, resultiert in die Feststellung: „Früher Transzendenz, heute Penetranz. Oder hätten Sie das etwa auch gekonnt?“ Ein weiterer, in bedächtigem Schweizerdeutsch vorgetragener Merksatz: „Sonst dient das Museum ja nicht der Früherkennung von Kunst.“

Ob ihrer unterhaltsamen kunstdidaktischen Persiflage tatsächlich subversive Qualität zukommt, möchte man angesichts der Broschüre zum „steirischen herbst 97“, die jetzt in Berlin kursiert, bezweifeln. Nachdem Kataloge inzwischen „unter der Direktion“ von Hans Ulrich Obrist publiziert werden, ließ man es sich in Graz nicht nehmen, die Künstler in den 32 Ankündigungen restlos unter den Tisch fallen zu lassen, und nur noch die prominenten Kuratoren- und „Konzept“-Namen von Eiblmayr bis Fenz aufzuführen. Auch eine Lektion – die die kühnsten Sottisen von Biefer/ Zgraggen blaß aussehen läßt.

Bis 6. 7., Mi.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2 Brigitte Werneburg