Im Höllenfeuer

Wo wir nicht sind, ist es auch nicht besser: Zur Reihe taiwanesischer Filme im Kino Arsenal  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Taiwan ist ein fragiles, gefährdetes Land. Kein Wunder, daß das Wort Frieden auf der Insel, von der der beste Tee der Welt kommt (Formosa Oolong), mit soviel Pathos gesprochen wird. „Let motion pictures open the door to world peace“, schreibt Jason C. Hu, der Generaldirektor des staatlichen Informationsministeriums in seinem Grußwort zu taiwanesischen Filmreihe, die noch bis zum 30. Juni im Schöneberger Kino Arsenal zu sehen ist.

Mit dem „Festival of Preservation“ soll sowohl der 100. Geburtstag des Films als auch die Aufnahme des taiwanesischen Filmarchivs in die „Internationale Föderation der Filmarchive“ (1992) gefeiert werden. Zehn Filme – der älteste von 1941, der jüngste von 1996 – zeigen einen interessanten Querschnitt durch die taiwanesische Cinematographie; vor allem aber ist taiwanesische Filme gukken besser als Wegfahren.

Daß es neben Ann Hui in Taiwan auch andere großartige Regisseure gibt, beweist das stets asienfreundliche „Internationale Forum des jungen Films“ jedes Jahr. Gerade die Filme jüngerer Regisseure wie P'ing Ho („Shiba“, 1993), Stan Lai („Im Land der Pfirsichblüte“, 1993) oder Tsai-Sheng Wang („A Cha-Cha for the Fugitive“, 1996) stehen ihren international bekannteren Kollegen aus Hongkong nicht nach und brachten es wie Tsai Ming-liangs „Rebels of the Neon God“ zu viel Ruhm in Cineastenkreisen.

Die Leitmotive des Films geben sich klassisch. Vor allem warten die jungen Helden, deren Rebellionen keine Gegner mehr finden: als gelangweilte Angestellte in einer bonbonfarben bunt leuchtenden Rollschuhdisko, in Spielhallen, oder wenn sie schweißglänzend auf dem Bett liegend rauchen. Manchmal liegen Nacktmädchenmagazine daneben. Manchmal flimmern im Fernsehen Pornos vorbei.

Die Helden schmeißen die Schule, um woanders nichts besseres zu finden. Auch als Kleinkriminelle sind sie Verlierer, werden übelst verdroschen und wünschen sich zerschlagen ein Bier und einen Kuß von dem Mädchen, das einen anderen liebt. Immer wieder sieht man sie über neonregenglänzenden Asphalt mit ihren Motorrädern fahren. Die Eltern sind von den jugendlichen Rebellen so weit entfernt, daß sich jede Auseinandersetzung erübrigt.

Besonders schön sind einige Details: Gelangweilt spießt einer der Jungs in der Eingangssequenz Insekten auf. Später demoliert er aus Eifersucht den Motorroller seines Freundes und schaut ihm, vor Freude auf seinem Bett rumspringend, zu, wie der verzweifelt sich über sein kaputtes Gefährt beugt. Beim Rumhüpfen knallt er mit dem Kopf an die Zimmerdecke. Wunderbar melancholisch das alles.

Eine Art Gegenstück aus einer Zeit, als das Gute und Schöne noch ungebrochen propagiert wurde, ist der 1963 entstandene „Our Neighbor“ von Hsing Lee. Das unverhohlene Pathos, die ungebrochene Didaktik des Sozialdramas kommt so geballt daher, daß man manchmal gleich mitheulen möchte. „Nur eine Gesellschaft, die sich von der Liebe leiten läßt, kann sich in die richtige Richtung bewegen“, heißt es am Anfang. Bildung hilft uns aus dem Elend, besser arm und integer als reich und verkommen, und solche Sachen lernt man in dem Film, der die Geschichte eines kleinen Waisenmädchens erzählt, das in einem dicken, freundlichen Lumpensammler, der ein bißchen an Pavarotti erinnert, ihren Beschützer findet.

Eifrig arbeitet der Dicke, um ihr den Schulbesuch zu ermöglichen; sie verkauft nachts Lotterielose und auch ihren niedlichen Hund, um ihm zu helfen. Als er bei Arbeiten in einer Kohlenmine verunglückt, hilft die Gemeinschaft der Guten, aus der das Böse – ein schurkisch urbaner Zuhälter und Drogenhändler – ausgeschlossen wird. Solch humanistische Propagandafilme sind einem mittlerweile fremd geworden; deshalb stimmen sie einen auch recht wehmütig.

Einfach nur großartig ist „Dragon Gate Inn“ von King Hu. Manch einer wird sich wundern, den kürzlich verstorbenen Altmeister des Hongkong-Films in einem Taiwan-Programm zu finden. 1966 wechselte King Hu von Hongkong zur taiwanesischen „Union Film Company“, wo er beim Aufbau des Studios half. 1967 brach „Dragon Gate Inn“ alle Kassenrekorde in Südostasien.

„Bevor die Schwerter sprechen, werden bedeutungsvolle Blicke ausgetauscht und Becher mit vegiftetem Wein vergossen. Reaktionsschnelle Kung-Fu-Experten fangen Wurfmesser mit ihren Eßstäbchen auf, halten abgeschossene Pfeile mit Fingerspitzen fest und lassen Kerzenflammen auf Schwertspitzen tanzen“, schreibt der Filmkritiker und Asienexperte Ralph Umard. Die Musikalität und Dynamik des Schnitts, die Sorgfalt der Ausstattung von „Dragon Gate Inn“ sind immer noch unübertroffen.

Der Animationsfilm „Princess Iron Fan“ von Wan Laiming und Wan Guchan entstand 1941, nur zwei Jahre nach Walt Disneys „Snow White“. Auf der politischen Ebene läßt sich die Geschichte vom Mönch Tripitaka und seiner Suche nach buddhistischen Schriftrollen als gegen die japanischen Besatzer gerichtete Allegorie lesen.

Ästhetisch macht der Schwarzweißfilm ohnehin mehr Spaß als die perfekt computeranimierten Animationsstreifen der Gegenwart. Die Schüler des Mönchs Tripitaka – der erste ist ein Mensch, der zweite ein Affe, der dritte ein Schwein – sollen also den eisernen, wunderwirkenden Fächer einer geheimnisvollen Prinzessin besorgen, um damit störende Höllenfeuer zum Erlöschen zu bringen. Nach vielen abenteuerlichen Kämpfen kommen sie am Ende auch zum Ziel. Wie es sich so gehört.

„Das taiwanesische Kino – eine Retrospektive“, Arsenal, Welserstraße 25

Termine siehe Tagesprogramm