Das Leben wird patentiert

■ Das Europäische Parlament will Patente für natürliche Erbinformationen zulassen. Damit werden Lizenzgebühren auf Gene von Mensch und Tier möglich. Mediziner befürchten eine Behinderung der Forschung

Brüssel (taz) – Patente auf lebende Wesen und auf Teile ihres Erbgutes sollen nun auch in der Europäischen Union fast uneingeschränkt möglich werden. Das sieht eine Richtlinie vor, die vom Rechtsausschuß des EU-Parlaments abgesegnet wurde. Die Vorschrift muß in den Ländern der Europäischen Union innerhalb weniger Jahre gesetzlich umgesetzt werden.

Was in anderen Bereichen der Wissenschaft nur Kopfschütteln auslöst, wird bei der Gentechnik in Europa geltendes Recht: Wenn eine Firma mit einer selbstentwickelten Technik beispielsweise Gene des Menschen isoliert und ihre Struktur als erste beschreibt, dann kann sie diese Gene patentieren lassen. Das wäre so, als ob alle Astronomen an Galileo Galilei Patentgebühren zahlen müßten, wenn sie die Jupitermonde per Teleskop ansehen – schließlich verkündete Galilei als erster, daß er die Trabanten 1610 mit einem angeblich selbsterfundenen Fernrohr gesehen hat.

Der Entwurf des Ausschusses muß Mitte Juli noch das EU-Parlament passieren. Es scheint, als ob die Abgeordneten sich dieses Mal der Kommerzialisierung menschlichen Lebens nicht widersetzen. Vor zwei Jahren hatte das Parlament einen ähnlichen Entwurf der Kommission abgelehnt.

Die Kommission hat eine neue Gesetzesvorlage vorgelegt, weil die Pharmaindustrie eine schnelle Lösung des Patentproblems fordert. „Es ist eine absolute Unverschämtheit, daß die Kommission nur in einem Punkt auf unsere Wünsche eingegangen ist“, schimpft Evelyne Gebhardt, Europaabgeordnete der SPD: Die neue Vorlage schließe jetzt Patente auf Keimbahntherapien aus, also bei Eingriffen in Ei- oder Samenzellen gewonnene Erkenntnisse. Solche Veränderungen in den Fortpflanzungszellen würden sich auf die Nachfahren vererben. Sie sind derzeit nicht erlaubt.

Gebhardt steht ziemlich allein in ihrer Fraktion, sie wurde im Rechtsausschuß überstimmt. Einzig die Grünen votierten wie vor zwei Jahren geschlossen gegen die Kommerzialisierung. Thomas Schweiger, Leiter des Brüsseler Büros der österreichischen Umweltorganisation Global 2000, befürchtet, daß bei der kommenden Abstimmung „viele Abgeordnete durch die massive Industrielobby umkippen“.

Die Kosten für manche medizinische Behandlung können durch die weitgehende Patentierung steigen. So etwa bei Leukämie. Deutsche Kinderkliniken gewinnen für die Heilung benötigte Zellen neuerdings einfacher aus Nabelschnüren Neugeborener statt aus Knochenmarktransplantationen. Seit einigen Wochen jedoch hat eine US-Firma ein Patent auf die Nabelzellen. Lizenzforderungen sind nun denkbar.

Ärzte und Wissenschaftler fürchten, daß Patente ihre Forschung verzögern oder gar behindern, wenn Pharmakonzerne sich die Rechte an den Genen sichern, der Grundsubstanz vieler ihrer Arbeiten. In den USA haben Selbsthilfegruppen zu Krankheiten wie Krebs oder Aids festgestellt: Seit Jahren sind dort Patente auf Leben möglich. Seitdem hat in der Biotech-Forschung ein regelrechter Run auf die Rechte an Genen eingesetzt. Die Priorität lag nicht auf der Erforschung neuer Medikamente. Ralph Ahrens