Das irische Kettensägenmassaker Von Ralf Sotscheck

Als die beiden Männer an der Haustür klingeln und behaupten, sie hätten ein paar Schubkarren Teer übrig, bin ich bereits vorgewarnt. Das klebrige Zeug sei bei einem anderen Auftrag übriggeblieben; läppische hundert Mark soll es kosten, die Einfahrt neu zu asphaltieren. Dasselbe hatten sie einem Bekannten erzählt. Als dessen Einfahrt dann in neuem Schwarz erglänzte, präsentierten sie die Rechnung: umgerechnet 2.500 Mark.

Vor Gericht hatte der Bekannte schlechte Karten. Schließlich konnte er nicht bestreiten, daß die Arbeit ordnungsgemäß ausgeführt worden war. Und für das mündliche Sonderangebot hatte er keine Zeugen. Ob er schon mal gehört habe, daß jemand für hundert Mark eine ganze Einfahrt asphaltiert bekommen habe, wollte der Richter von ihm wissen. Ich dagegen konnte nun das Unheil abwenden, denn ich war gewarnt.

Vor Baumchirurgen hat mich niemand gewarnt. Die Trauerweide vor dem Haus sei in erbarmungswürdigem Zustand, sagte der junge Mann mitfühlend – viel zu dichte Äste, sie könne ja gar nicht atmen. Und dann malte er ein Bild des Schreckens: Über kurz oder lang werde der Baum umfallen und das Dach abdecken. Oder, wenn er in die andere Richtung stürze, werde er eine Gruppe Schulkinder unter sich begraben. Möglicherweise knicke er auch zur Seite und verwandele den nagelneuen Kleinwagen der Nachbarn in einen Schrotthaufen.

Egal, welches der drei Katastrophenszenarien eintrete, die Kosten würden mich jedenfalls unweigerlich in den Ruin treiben, ganz zu schweigen von der Gefängnisstrafe für kriminelle Vernachlässigung eines Baumes. Wer hätte gedacht, daß das harmlos scheinende Gewächs im Vorgarten in Wahrheit eine heimtückische Zeitbombe ist?

Dankbar nahm ich das Angebot der Baumrettung an, zumal der nette Herr nur 50 Mark Aufwandsentschädigung für seine Bemühungen haben wollte. Zufällig hatte er seine Kettensäge dabei. Bevor er dem Baum zuleibe rückte, wollte er sich mit einer Tasse Tee stärken. Die Schokoladenkekse auf dem Regal, so fand er, sahen auch nicht schlecht aus – aber erst nach dem Käsetoast, den ich gerade vorbereitet hatte. Dann war er satt und bereit für das Massaker.

Der Baumchirurg borgte sich meine Leiter und begann, im Baumwipfel herumzufuhrwerken. Ast um Ast fiel zu Boden, der Kettensägenbotaniker schien in einen Harzrausch zu geraten. Nach 20 Minuten war er fertig. Ich hatte natürlich angenommen, er würde die amputierten Äste mitnehmen, aber er dachte gar nicht daran. Für die Entsorgung mußte ich einen Müllcontainer mieten. Kosten: hundert Mark am Tag.

Die beiden Fahrer, die das Stahlungetüm anlieferten, lachten sich schlapp, als sie den Baum sahen. Hieß der Experte vielleicht Aengus, fragten sie. Nun ja, sein Akzent deutete auf diesen urschottischen Namen hin. Er sei bekannt, klärten mich die beiden Containerfahrer auf: Er habe bereits ganze Dubliner Straßenzüge in baumfreie Zonen verwandelt.

Die Trauerweide sieht jetzt aus wie ein begossener Pudel. Sie ist so klein, daß sie – sollte sie umstürzen – höchstens noch bis auf die Einfahrt fallen kann. In dem Fall kann ich mich immer noch an die beiden Männer mit der Schubkarre voll Teer wenden.