Der Schrein der Schweinderln

Der Traum vom Sehen: Eine Ausstellung über das Fernsehen im Gasometer Oberhausen  ■ Von Harald Keller

Beim Blick in die Fernsehvergangenheit kann einem schier schwindlig werden. Zumindest dann, wenn dieser Blick vom Firmament des Oberhausener Gasometers gut 100 Meter tief ins Innere der weiträumigen Tonne geht, wo eine Fülle von Artefakten, Exponaten und Dekors das Ausstellungsthema „Der Traum vom Sehen“ illustriert. Der äußeren Form des Veranstaltungsortes angepaßt, führt der Weg in Kreisen und Spiralen durch das Arrangement.

Über drei Ebenen erstreckt sich der Lehrpfad durch die Geschichte der Televisionen, beginnend mit Galileo Galileis Fernrohr und einer alle Zwischenstufen überwindenden Vorschau aus der Steinzeit medialen Sehens ins Zeitalter der Mondspaziergänge. Die Zukunft aber will erobert werden. Der Weg dorthin ist gesäumt von Versuchsanordnungen, die die anatomischen und physikalischen Grundlagen der technischen Bildübermittlung veranschaulichen. Neben kinetischen Objekten, frühen Gerätschaften zur Nachrichtenübertragung und den Ahnen der kinematographischen Apparate findet auch die Introspektion einen Platz, das Flimmern neuronaler Netze sowie Freuds Forschungsreisen in die Innenwelt, die er – schau an – mit geschlossenen Augen durchzuführen pflegte. Von hier ist der Schritt nicht weit zur Projektion, und in der Tat führt der Weg ins 20. Jahrhundert durch die sogenannte Bildkörperschleuse, in der der Leib des Vordermanns zur bewegten Leinwand wird.

War die ebenerdige Ausstellungsfläche teils assoziativ sortiert, geht's fortan chronologisch durchs Säkulum. Die nationalsozialistischen Anfänge des Fernsehens, das von Goebbels als wichtiges Propagandainstrument erkannt worden war, nach Kriegsausbruch aber in die Zuständigkeit der Luftwaffe überging, wo man bereits mit einer Vorstufe der fernlenkbaren Bombe experimentierte, werden knapp markiert, aber unzureichend kommentiert. Besser gelöst ist die Darstellung der jüngeren Jahrzehnte. Zahllose Relikte und Reliquien – sei es Bernhard Grzimeks Oscar-Statuette, Robert Lembkes Stall voller Schweinderln oder auch eine Wasserleiche aus einer der letzten „Tatort“-Folgen – rufen Erinnerungen wach oder Fragen auf. Die wahrlich überraschende Menge der Fundstücke zwang die Organisatoren zum Hochbau. Die kostbaren Stücke sind in Hochregalen untergebracht, aber die – architektonisch naheliegende – zusätzliche vertikale Nutzung des umgewidmeten Industriebaus ist ohnehin eine Eigentümlichkeit der Ausstellung. Zu manchen Memorabilien stehen Filmausschnitte zur Verfügung, die der Besucher eigenmächtig wählen und abrufen kann. Überdimensionale Sofas laden zum Verweilen; auf den dazugehörigen Fernsehern laufen Filmcollagen zu Themen wie „Männerblicke – Frauenbilder“ oder „TV im TV“. Dazwischen, als Wechselspiel von Hochkultur und kunstfertiger Didaktik, zum einen Objekte von Medienkünstlern wie Nam June Paik und Dara Birnbaum, zum anderen gewitzte Installationen, die abstrakte Termini wie „Marktanteil“ oder „Bruttowerbeumsatz“ versinnbildlichen.

Allerwärts strahlen Monitore, Bildschirme, Projektionsflächen ihre Bilder ab, der dazugehörige Ton potenziert sich zum Dauerrauschen. Mal lassen sich Wochenschaumeldungen ausmachen, mal die Titelmelodie von „Salto Mortale“ oder ein paar Talkshow- Wortfetzen. Trotz allem kommen die Generationen ins Gespräch. „Mutti, ,Wünsch Dir was‘ – was war das denn für 'ne Sendung?“ fragt es hier; dort läßt sich ein Knirps vom Vater den Begriff Marktanteil erklären und kommentiert hernach mit Blick auf die Zahlen des Kindersenders Nickelodeon kennerisch: „Da kannste mal sehen, wie Scheiße die sind.“

Besonders umlagert sind selbstredend jene Assemblagen, die Fernsehen erlebbar machen, die ausgemusterte Dekoration der „Tagesschau“ und das kleine Studio, in dem sich, wer will, für zehn Mark wahlweise als ARD-, RTL- oder ZDF-Nachrichtensprecher verewigen lassen kann. Schlangen auch vor den Computerterminals auf der Galerie, deren Programme großflächig auf die Gasometerwand projiziert werden und die den Zugang zur „Welt am Draht“ – Daniel Galouye und Fassbinder haben es seinerzeit kommen sehen – ermöglichen.

„Der Traum vom Sehen“, angestiftet von RTL, ausgeführt mit Hilfe von ARD, ZDF und einer Vielzahl von Leihgebern und Sponsoren, ist der zum größeren Teil gelungene Versuch, Technik-, Programm- und Zeitgeschichte in Zusammenhang zu bringen und dergestalt in Szene zu setzen, daß auch Laien leichten Zugang finden. Wie nachlässig jedoch hierzulande mit diesem Thema noch umgegangen wird, zeigt sich gleich draußen im Museumsbuchladen: Manch eines der dort feilgebotenen Bücher strotzt nur so von Fehlern. Wer Koons und de Koning nicht zu unterscheiden vermag, wäre als Kunstkritiker schnell erledigt. In Sachen Fernsehen aber wird in vergleichbarer Qualität grob drauflosgestümpert. Man braucht halt vorderhand nicht zu fürchen, daß sich irgend jemand daran stört.

„Der Traum vom Sehen“ im Gasometer Oberhausen“, geöffnet bis 15. Oktober, täglich von 10 bis 20 Uhr. Tel. (0208) 803745