„Was soll ich sagen, ich bin empört“

■ betr.: „Verblüffend gute Laune“, taz vom 16.6. 97

Spinnt Rorty eigentlich? Mag sein, daß das Interview komisch gekürzt, zurechtgestutzt und irreführend im Detail ausfällt. Wo keine Wahrheiten sind, können trotzdem Mißverständnisse auftauchen. Vielleicht ist ja der antifeministische Unterton nur suggestiven Fragen zuzurechnen, und identitätspolitische Forschungen sind für Rorty nicht wirklich „Politikersatz“, sondern Teil emanzipativer Strömungen. Allerdings bekomme ich den Eindruck vermittelt, Intellektuelle würden sich nur mit ihrem jeweiligen Nischenscheiß beschäftigen statt mit der (wahrhaft?) wichtigen Ökonomie. Wenn gender-studies in Deutschland den Stellenwert hätten, den Rorty aus Amerika auf die Linke verallgemeinert, es hätte sich einiges getan an deutschen Universitäten!

Leider beantwortet er die Frage nach der Nation als Referenzsystem nicht. Oder doch, und nur unbefriedigend? Weil die Amis Lincoln (oh je...) und Martin Luther King hatten, dürfen, ja sollten Linke sich auf die Nation beziehen? Daß politisch verfaßte Nationen wie die USA oder Frankreich anders zu betrachten sind als auf Blutsbande be- und gegründete wie Deutschland, ist schon klar, nur: genau da liegt ja der Knackpunkt. Wir brauchen überhaupt keine positiven Nationen-Begriff, weil es keine nicht ausgrenzende Nation geben kann. Und „die Guten“ immer wieder in die Nationform alternativen Heldentums zu pressen statt sie als Transnationale (temporär & örtlich abgelöst von der Nation) zu begreifen, versuchen liberale/sozialdemokratische Ideologien, seit sie die Nation nicht den Rechten überlassen“ wollen. Und werden selber welche...

Und der Hammer ist ein zivilisationstheoretischer: Rorty behauptet, die Geschichte der Moderne sei im Großen und Ganzen echt super gewesen, von so Ausnahmen, „Unterbrechungen wie Hitler und so weiter“ mal abgesehen! Kriege fallen also vom Himmel, Rationalität und Herrschaft, zwei wesensfremde Dinge, nur der böse Totalitarismus verhindert endgültige (oder etwa kontingente?) Freiheit. Was soll ich sagen, ich bin empört. Daß der Holocaust nicht ein Betriebsunfall, sondern rationalster Ausdruck des latenten Potentials der Moderne, die Endlösung das Ergebnis und nicht der Ausrutscher bürokratischer Kultur ist, darauf bestehen selbst und gerade auch postmoderne KollegInnen (wie zum Beispiel der Soziologe Zygmunt Bauman). Einer Linken, die das immer wieder vergißt, können wir getrost die Laune verderben. Wer so lax mit der Freiheit umgeht, der wird sich doch ums Wahre und Gute kümmern müssen. Jens Petz Kastner, Münster