■ Nebensachen aus Phnom Penh
: Warten auf Pol Pot

Durch das Stimmengewirr dringt aus den Lautsprechern Mozart, Ventilatoren an der Decke halten die Nachtluft in Bewegung, ab und zu fliegt ein Käfer aus der Dunkelheit und stürzt sich auf den Rand eines Bierglases: Samstagabend im Auslandskorrespondenten-Club von Phnom Penh. Nur ein Thema beherrscht die Gespräche an der Theke: Wo ist Pol Pot? Ist der berüchtigte Führer der Roten Khmer, den seit 18 Jahren kein westlicher Journalist mehr gesehen hat, noch am Leben oder längst tot?

Vor einer Woche hatte der Regierungschef Prinz Norodom Ranariddh die Öffentlichkeit mit einer erstaunlichen Erklärung aufgeschreckt. Das Ende der Roten Khmer, die seit ihrer Vertreibung aus Pnom Phen 1979 einen Guerrillakrieg aus dem Dschungel führen, sei nahe, in der Organisation ein blutiger Machtkampf ausgebrochen! JournalistInnen weltweit eilten zu den Flughäfen, um die Sensation nicht zu verpassen.

Seitdem füllt sich der schönste Presseclub der Welt, dessen großer Raum sich nach vorn zum stillen Tonle-Sap-Fluß und nach hinten zu den lieblich geschwungenen Dächern des Nationalmuseums öffnet, allabendlich mit Menschen im fortgeschrittenen Stadium der Verwirrung. Hat der Prinz nicht verkündet, Pol Pot sei gefangengenommen? Wo ist der versprochene Helikopter, der die versammelte Weltpresse in den Dschungel transportieren sollte? Warum erklärt der geheime Radiosender der Roten Khmer, Pol Pot sei bereits gefangen, am Tag darauf, er sei umzingelt, und dann wieder: Er ist gefangen?

Die KollegInnen sind entnervt. Tagelang haben sie den beiden Premierministern auf dem Flughafen, im Stadion, in der Hochschule, in der Hauptstadt und auf dem Lande aufgelauert, Generäle und Regierungsberater bis spät in der Nacht angerufen: „Gibt's was Neues über Pol Pot?“ „Wann geht der Hubschrauber?“

Nichts. Andeutungen. Gerüchte. Nur ein Verdacht: Die anderen Journalisten könnten mehr wissen. Wieso lächelt der britische Kollege still in sich hinein? Wieso regt das Gespräch am Handy den Mann von der französischen Nachrichtenagentur so auf, daß er plötzlich seine Sachen packt und verschwindet? Worüber flüstern die Kameraleute, die eben am Flughafen die Leibwächter von General Nhiek Bun Chhay gesehen haben – dem Mann, der kürzlich merkwürdige Fotos getöteter Roter Khmer präsentiert hatte? Stimmt es, daß ein paar Kollegen einen Hubschrauber für 2.500 US-Dollar die Stunde chartern wollten, um zum Hauptquartier der Roten Khmer zu fliegen – aber in letzter Sekunde zurückschreckten, weil es doch zu gefährlich sein könnte.

Es gibt immer noch keinerlei Beweise für die Behauptung von Prinz Ranariddh, daß Pol Pot – schwerkrank in einer Hängematte getragen – noch lebt. „Bald, bald kann ich Bilder zeigen“, rief der Prinz gestern Morgen der versammelten Presse zu. Ein paar Kilometer weiter sagt sein Co-Regierungschef Hun Sen: „Ich weiß nichts“. Und ein Mitarbeiter: „Alles ein abgekartgetes Spiel!“ Aber etwas Neues gibt es immerhin: Die roten Khmer sollen nun in drei Fraktionen gespalten sein.

Aber vielleicht schickt die Regierung doch noch einen Helikopter. „See you tomorrow“, sagt der beinlose Bettler auf dem Rollwägelchen, der wie jeden Abend am Eingang des Korrespondenten-Clubs wartet. Bis morgen. Jutta Lietsch