630 Milliarden Mark für Dunst

■ Drei Tabakkonzerne zahlen Milliarden in einen Gesundheitsfonds ein. US-Behörden verzichten dafür auf Schadensersatzklagen. Nachahmer in Europa?

Nach Jahren scharfer Auseinandersetzungen mit der Tabakindustrie haben die Gegner des Rauchens in den USA einen historischen Erfolg errungen. Unter dem Druck zahlreicher Einzelklagen erklärten sich drei der größten Tabakfirmen am Freitag bereit, binnen 25 Jahren insgesamt 368,5 Milliarden Dollar (630 Mrd. Mark) in Gesundheitsfonds einzuzahlen und für Entschädigungen sowie Programme zum Kampf gegen das Rauchen auszugeben.

Der außergerichtliche Vergleich wurde in Verhandlungen mit 37 US-Bundesstaaten erzielt. Unklar blieb zunächst, ob er in dieser Form Bestand hat. US-Präsident Bill Clinton und der Kongreß müssen den Regelungen noch zustimmen. Die Kurse der betroffenen Firmen Philip Morris, RJR Nabisco, Brown and Williamson fielen an der New Yorker Börse, bei Philip Morris um rund 4 Prozent. Die US-Tabakindustrie hat 1996 fast 140 Milliarden Dollar umgesetzt und 12,7 Milliarden mark an Steuern gezahlt. Sie beschäftigt fast zwei Millionen Arbeitnehmer.

„Wir wollten sicherstellen, daß jeder einzelne Mensch – nicht nur in Amerika, sondern rund um die Welt – die Wahrheit darüber erfährt, was die Tabakindustrie in den letzten 50 Jahren angestellt hat“, sagte der Chefunterhändler der 37 Bundesstaaten und Justizminister von Mississippi, Mike Moore, in Washington.

Die Einigung mit den Tabakfirmen, die nach dreimonatigen Verhandlungen zustande kam, sei „die größte Errungenschaft für die öffentliche Gesundheit in der Geschichte“. Die Tabakfirmen sollen eine erste Teilsumme von 10 Milliarden Dollar zahlen, sobald die Regelung wirksam wird. Im Gegenzug wollen die Bundesstaaten und Dutzende von Privatleuten ihre Schadensersatzklagen gegen die Tabakindustrie zurückziehen. In einer Erklärung bezeichnete die Tabakindustrie die Regelung als „bittere Pille“.

Clinton sagte eine rasche Prüfung des Vergleichs zu. Es müsse noch geklärt werden, ob er die öffentliche Gesundheit ausreichend schütze. Im Frühjahr hatte der US- Tabakkonzern Liggett die Einstellung verschiedener Klagen erreicht. Im Gegenzug hatte das Unternehmen Dokumente vorgelegt, nach denen die Tabakindustrie seit langem die gesundheitlichen Schäden des Rauchens kannte.

Mehrere demokratische Senatoren wiesen darauf hin, daß die US-Tabakfirmen auch daran gehindert werden müßten, ihre schädlichen Produkte in anderen Staaten abzusetzen. Ein Viertel der gesamten Tabakproduktion der Welt stamme aus den USA. Nach Einschätzung des Kontrollzentrums für die Prävention gegen Krankheiten in Atlanta (CDC) sterben an den Folgen des Rauchens in den USA jährlich 419.000 Menschen. Börsenexperten vermuteten, daß die Profite der Tabakindustrie im kommenden Jahr um 1,7 Milliarden Dollar auf 6,7 Milliarden Dollar fallen werden.

Wie die britische Zeitung Sunday Times unter Berufung auf die Gesundheitsbehörde von Croydon schrieb, wollen die Behörden in Großbritannien dem Beispiel der USA folgen. Die britische Tabakindustrie solle zu Zahlungen in einen Fonds veranlaßt werden, der für die medizinische Behandlung von Rauchern bestimmt sei.

In Deutschland versuchen Bundestagsabgeordnete seit einigen Jahren ein Anti-Raucher-Gesetz durchzusetzen, und die deutsche Zigarettenindustrie hat sich mit ihrer Jugendkampagne „Cool Kids can wait“ heftige Kritik eingefangen. Dabei sei es der Branche „ein wirkliches Anliegen“, klarzumachen, daß „Zigaretten ein Genußmittel für Erwachsense sind“. Das hatte die US-Tabakindustrie auch lange Zeit beteuert. AFP, taz