Wirtschaft: top – Umwelt: Flop

■ Ökologische Abbruchstimmung in den USA: Von den 2.000 Schritten der Rio-Agenda 21 haben die USA bis heute keinen einzigen erfüllt

New York wurde ganz bewußt als Treffpunkt gewählt. Wie vor fünf Jahren in Rio spielt auch auf dem „Earthsummit plus 5“, der Folgekonferenz fünf Jahre danach, der Tagungsort eine wichtige Rolle. Die Konferenz in Rio zog das Augenmerk auf die tropischen Regenwälder und die Armut in den Megastädten der Entwicklungsländer. Durch die Tagung in New York richten sich die Erwartungen auf die USA, die nicht nur die einzige verbliebene Supermacht sind, sondern auch die prosperierendste Industrienation.

Die Frage heißt also nicht nur: Wie steht die Welt fünf Jahre nach Rio de Janeiro da? Sie lautet auch: Wie stehen die USA gemessen an den Aufträgen von Rio da? Nimmt die Clinton-Administration ihre Führungsrolle in der Umweltpolitik ebenso war, wie sie es in der Wirtschafts- und Außenpolitik zuletzt auf der G-8-Konferenz in Denver demonstrierte?

Um es vorweg zu sagen: Weder die Welt noch die USA stehen gut da. Die USA sind mit dem denkbar schlechtesten Beispiel vorangegangen. Dem wirtschaftlichen Aufschwung des Landes steht eine verheerende Umweltbilanz gegenüber. Von den 2.000 Bestimmungen der in Rio beschlossenen Agenda 21 haben die USA keine einzige Maßnahme umgesetzt.

Wie notwendig die Erfolgskontrolle ist, das Beispiel der USA demonstriert es eindrucksvoll, wenn am heutigen Montag als Sondersitzung der UNO die Folgekonferenz des Rio-Gipfels beginnt. Damals, im Juni 1992, waren auf dem ersten „Earthsummit“ eine Reihe von Dokumenten verabschiedet worden, die den Planeten retten und jene vielbeschworene ökonomische und ökologische „Nachhaltigkeit“ der Entwicklung im 21. Jahrhundert gewährleisten sollten. Dazu gehörten die Konventionen über Artenvielfalt und Klima sowie ein 300 Seiten, 40 Kapitel und 2.000 konkrete Schritte umfassendes Dokument, das den Titel „Agenda 21“ trägt. Anders als die international bindende Klima- und Artenschutzkonvention ist die Agenda 21 ein „weiches Gesetz“, auf mehr oder weniger freiwilliger Grundlage. Weil solch schöne Dokumente meist folgenlos bleiben wurde eine Erfolgskontrolle fünf Jahre später vereinbart: New York 1997. Die etwa 60 anreisenden Regierungschefs sollen ab heute Rechenschaft ablegen.

Die Vereinten Nationen haben unter dem Titel „Wo wir heute stehen“ ihre Bilanz schon vorgelegt. Immerhin: Es gibt auch Positives zu vermelden. Der Rückgang der Fruchtbarkeit – nicht zuletzt durch Umweltgifte verursacht – wird langfristig die Geburtenrate senken. Die Entwicklungsländer werden möglicherweise in zwei Generationen ihre Bevölkerungszahl stabilisieren. Auch haben weltweit Nahrungsmittelproduktion und Lebenserwartung zugenommen. Dem gegenüber steht die drohende Verknappung der Süßwasserreserven und der Rückgang der Ackerfläche. Ein Fünftel der Weltbevölkerung hat keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser.

Weiter gewachsen ist die Kluft zwischen Arm und Reich. 1,1 Milliarden Menschen leben in absoluter Armut von weniger als einem Dollar am Tag. Noch immer konsumieren 20 Prozent der Weltbevölkerung 80 Prozent der Ressourcen. Dramatisch ist die Situation der Wälder. Trotz eines leichten Rückgangs des Holzeinschlags wird täglich eine Waldfläche von der Größe Nepals abgeholzt. Der Ausstoß an Kohlendioxid hat nicht ab-, sondern zugenommen, obwohl die Mehrheit der Wissenschaftler dramatische Klimafolgen befürchtet.

In einer zweiten Bilanz kommt das Washingtoner World-Watch- Institut zu dem Ergebnis, daß acht „ökologische Schwergewichte“ die Zukunft der Umwelt bestimmen: USA, China, Indien, Indonesien, Brasilien, Rußland, Japan und Deutschland. In diesen Ländern leben 56 Prozent der Weltbevölkerung, stehen 53 Prozent der Wälder. Ihre Industrien pusten 58 Prozent der Klimagase in die Luft. China verbrauchte schon 1995 mehr Kohle, Getreide und Fleisch als die USA. Diese acht Nationen bestimmen das Schicksal der Erde. World-Watch schlägt vor, daß diese Länder regelmäßig einen E-8-Gipfel organisieren. E steht für Environment, für Umwelt.

Eine dritte, besonders eindrucksvolle Bilanz kommt von der Jurafakultät der Widener School of Law in Pennsylvania. Dort hat ein Seminar unter Führung von Professor John Dernbach die Umsetzung der Agenda 21 in den USA gründlich geprüft. Fazit: Nicht in einem einzigen Fall haben die USA die in Rio ausgehandelten Schritte getan. Zwar berief Clinton eine hochrangige Kommission ein, die 135 Vorschläge machten. Von denen ist aber wiederum kein einziger befolgt worden.

Die USA, so der Dernbach-Report, habe keine Strategie zur Umsetzung der Agenda 21 oder überhaupt zur Implementierung einer Nachhaltigen Entwicklung. Sie habe keine Verantwortlichkeit auf Regierungsebene geschaffen und keine materiellen Ressourcen bereitgestellt. In den USA gebe es keine über die Ziele von Rio unterrichtete Öffentlichkeit. Alle Erfolge auf ökologischem Gebiet, wie etwa die Abgasstandards in der Autoindustrie und die Programme gegen die Bodenerosion gehen auf die Zeit vor Rio zurück.

Weitere Details belegen die ökologische Abbruchstimmung in den USA. Der Vertrag zur Erhaltung der Artenvielfalt, schon von Präsident Bush aufs heftigste bekämpft, wurde auch unter Clinton nicht ratifiziert. Beiträge zu internationalen Umweltprogrammen wurden gekürzt. Die USA als weltweit größer Klimakiller haben ihren Kohlendioxidausstoß nicht wie in Rio vereinbart stabilisiert, sondern noch mal um volle 13 Prozent erhöht. Noch immer konsumieren in den USA 5 Prozent der Weltbevölkerung 24 Prozent der Energie und 30 Prozent der Rohstoffe.

Nachhaltige Entwicklung? Wohl eher eine nachhaltige Zerstörung der Lebensgrundlagen. Peter Tautfest, Washington