Körperkult und Depressionen

Ebenso viele Mädchen wie Jungen nehmen Ecstasy. „Kajal“hilft ihnen bei Problemen  ■ Von Elke Spanner

Nach jedem Rave-Wochenende hing Sarah nur noch in den Seilen. Nichts törnte sie an, nichts machte ihr mehr Spaß. Einziger Lichtblick: Die nächste Party – das nächste Wochenende mit der „Glückspille“Ecstasy. Doch die Wochen wurden lang und länger und schließlich zu lang. Schon am Mittwoch hielt sie ihre Stimmung nicht mehr aus und schluckte eine Pille, an einem ganz alltäglichen Nachmittag, allein in ihrem Zimmer. Dann bekam Sarah Angst – um sich, ihren Alltag, ihr Leben ohne Ecstasy. Sie griff zum Telefon und wählte 3806987: Die Nummer der Mädchenberatungsstelle „Kajal“in der Altonaer Hospitalstraße. Sie bekam einen Termin, dann einen zweiten. Seither geht Sarah regelmäßig zur Beratung.

Die Tür zum Büro fliegt auf, und Jana schneit herein. „Ich brauche Wassergläser“, fordert sie lautstark und rechnet blitzschnell nach: „...fünf, sechs, sieben. Wir sind zu siebt!“Donnerstag Nachmittag. Mädchencafé bei „Kajal“. Auch um Spaß zu haben, betreten die Mädchen den Laden. Sie können über sich reden, wenn sie wollen, und es bleiben lassen, wenn die Stimmung eine andere ist. Haben sie etwas zu erzählen, stehen ihnen eine Psychologin und eine Pädagogin zur Seite. „Kajal“ist ein Suchtpräventionsprojekt. Dennoch geht es nicht nur um Drogen. Die Mädchen im Café reden über ihre Gewalterfahrungen, über Schulschwierigkeiten, über Probleme mit den Eltern und ihre Eßstörungen.

Das Café haben die „Kajal“-Frauen auch eingerichtet, um Mädchen die Schwellenangst zu nehmen. Ist das Eis geschmolzen, trauen sich viele auch, einen Beratungstermin abzusprechen. Die meisten aber kommen zunächst mit ihrer Schulklasse, später dann erst alleine. Anders als im Café, geht es bei der Beratung um Drogen aller Art. Im Mittelpunkt stehen die Glückspillen: „Ecstasy nehmen ebenso viele Mädchen wie Jungen“, weiß Elke Peine, Pädagogin bei „Kajal“. Damit ist der Mädchenanteil größer als bei allen anderen Drogen. „Mit dem Konsum ist kein radikales Verlassen der herrschenden Kultur verbunden“, deshalb, so erklärt Peine, sei die synthetische Droge unter Mädchen so beliebt. „Feiern, Harmonie, fröhlich sein: Das finden alle gut.“Attraktiv sei die Droge auch wegen des damit verbundenen Körperkultes, der Mode, die die Szene prägt. „Sich über den Körper zu präsentieren, war schon immer eine weibliche Ausdrucksweise.“Also schlucken die Mädchen „E“. Dabeisein ist alles.

Dabeisein kann aber auch zum Problem werden. Zum Beispiel für Alyna, die die Droge nicht nehmen wollte. Wilde Gerüchte über Folgeschäden waren im Umlauf, und Alyna hatte schlicht Angst. In der Clique aber gehörte das „Einwerfen“längst dazu. Also was tun? Mit dieser Seite der Medaille sind die „Kajal“-Frauen täglich konfrontiert. Ebenso wie die Klamotten, ist auch Ecstasy ein Accessoire der Szene, über das Dazugehörigkeit hergestellt wird. Der Druck ist hoch. Peine: „Wir beobachten Cliquenspaltungen direkt an der Linie: Nimmst Du es, oder nimmst Du es nicht?“

Mit dem Konsum der Droge sei die Ideologie verbunden, daß alles harmonisch, alles friedlich, die Welt „auf E“rundum in Ordnung sei. In dieses Bild passe es nicht, daß es jemandem mit der Droge nicht gut geht – ein Grund, warum viele Mädchen in der Szene auch mit ihren Freunden nicht über ihre Probleme mit Ecstasy reden.

Hier will Kajal sich anbieten. Das Suchtpräventionsprojekt gehört zum Verein Frauenperspektiven und kümmert sich speziell um Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren. Darüber hinaus bietet Kajal auch Fortbildung für MultiplikatorInnen an, die mit konsumierenden Mädchen arbeiten. Der Bedarf steigt, und so plant „Kajal“für die nächsten Wochen eine Öffentlichkeitskampagne zum Thema Mädchen und die „Glückspille Ecstasy“.