"Emanzipation und Gelage"

■ Ein Buch erzählt von Frauen aus zwei Jahrhunderten, deren Emanzipation eng mit Berlin verbunden war. Erfüllung persönlicher und politischer Sehnsüchte in der Großstadt

Louise Aston war von ihrem konventionellen Ehemann einfach gelangweilt. Also ließ sie sich nach „längerem schrecklichen Leiden“ von ihm scheiden und zog im Jahr 1844 aus der anhaltinischen Provinz nach Berlin. In der preußischen Hauptstadt hoffte sie eine „Insel der Wissenschaften, der Künste und der Geselligkeit“ zu finden „inmitten von Reaktion und Zensur, von Wohnungsnot und Armenspeisung, von stinkenden Rinnsteinen und lärmenden Dampfmaschinen“.

Doch Louise Aston sollte enttäuscht werden: Zwei Jahre später wurde sie aus der Stadt gewiesen, im Polizeibericht heißt es zur Begründung: „Die Aston scheint es besonders auf Emanzipation und fröhliche Gelage abzusehen.“

Noch bevor Louise Aston während der Märzrevolution 1848 als einzige Frau im Freischärler-Wams auf die Barrikaden stieg, galt sie wegen ihrer Libertinage als staatsgefährdende Person. Weil sie ihre Schönheit einzusetzen wußte, war Louise Aston auch im liberalen Berliner Bürgertum ebenso berühmt wie verfemt. In Vergessenheit geriet darüber, daß Aston eine ebenso leidenschaftliche Schriftstellerin wie Politikerin war. Selbst ihre revolutionären Mitstreiter und die spätere Frauenbewegung distanzierten sich von der Vorreiterin der Frauenbewegung, weil sie gegen die „weibliche Würde und Schamhaftigkeit“ verstoßen hätte.

Louise Aston war wohl die erste Frau, deren persönliche Emanzipation in Berlin begann. Sie sollte beispielhaft werden für Tausende Frauen, die von der Liberalität der schnell wachsenden Großstadt angezogen werden. Wie eng in den beiden vergangenen Jahrhunderten Berlin als entstehende Metropole mit der Frauenbewegung verknüpft war, zeigt das Buch „Stadtbild und Frauenleben“.

Es porträtiert 16 Frauen, die an der Spree Möglichkeiten suchten und fanden, häuslicher Enge und überkommenen Rollenaufteilungen der Gesellschaft zu entfliehen. Es schildert aber auch die Grenzen, an die sie bei diesem Streben nach Emanzipation gestoßen sind.

Die Autorinnen halten sich bei ihren Texten eng an die Autobiographien der beschriebenen Frauen, was deren Beweggründe sehr anschaulich werden läßt, aber auch den Schwerpunkt auf bildungsbürgerliche Frauen festgelegt hat. Als einzige Vertreterin der Arbeiterinnen taucht die Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, Marie Juchacz, auf.

Die boomende Hohenzollern-Metropole Berlin, in der sich gesellschaftliche Freiräume jenseits des Establishments entfalten konnten, wurde zum Sinnbild von Freiheitsdrang und Emanzipationswillen. Bürgerliche Frauen wußten dies als erstes auch für die Belange von Frauen zu nutzen. Kleinbürgerliche, proletarische und bäuerliche Frauen trieb die finanzielle Not zu Tausenden aus der Provinz in die Großstadt, aber auch die Sehnsucht, an der „neuen Zeit“ teilzuhaben. Dem konservativen Bürgertum und Adel wurden die Großstadt und in ihr die emanzipierte Frau bald ebenso verhaßt wie die Revolution.

Der Band beschreibt das Leben von Frauen, die individuell oder in der Frauenbewegung das geistige, künstlerische und soziale Leben Berlins vorantrieben, in den Berliner Salons, den Caféhäusern oder den Arbeitervierteln.

Die großbürgerliche Intellektuelle Hedwig Dohm schrieb gegen die „Ausbeutung der weiblichen Natur für männliche Interessen“ und den „Jesuitismus im Hausstande“ an. Die Sozialreformerinnen Alice Salomon und Marie Juchacz bereiteten den Weg für eine staatliche Sozialfürsorge. Die Pädagoginnen Minna Cauer und Helene Lange erreichten durch ihre gemeinsame Arbeit gleiche Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen, zerstritten sich dann allerdings über die Frage, welche Positionen die Frauenbewegung zum Ersten Weltkrieg beziehen sollte.

Den Künstlerinnen Fanny Hensel, Sabine Lepsius oder Tilla Durieux dagegen wurde versagt, sich Männern gegenüber zu behaupten. Gemeinsam war allen Frauen eines: Ob radikal bürgerlich oder konservativ, elitär oder unkonventionell, libertär oder ehrgeizig, sie setzten die Meilensteine, an denen sich die zweite Frauenbewegung in den sechziger Jahren orientieren konnte. Thekla Dannenberg

Henrike Hülsbergen (Hrsg.), „Stadtbild und Frauenleben. Berlin im Spiegel von 16 Frauenporträts“, Stapp Verlag Berlin, 386 S., 48 DM.