„Hitler war ein Politiker“

■ Studie zur NS-Zeit im Unterricht: Viel Indoktrination, wenig Fakten

„Alles bewältigt, nichts begriffen“– unter diesem Titel stellen die Bremer Wissenschaftler Freerk Huisken und Rolf Gutte heute die Ergebnisse ihrer Studie zur Behandlung des Nationalsozialismus im Unterricht vor. Die taz sprach mit Herrn Huisken über die provokanten Ergebnisse.

taz: Fünf Jahre lang haben Sie untersucht, was 50 Jahre schulische Aufklärung über die NS-Zeit geleistet haben. Und?

Freerk Huisken:Das Hauptergebnis findet sich im Titel. Wir behaupten, daß keine sachorientierte Aufklärung stattgefunden hat. Stattdessen wird mit politischer Indoktrination gearbeitet, die der Logik der Vergangenheitsbewältigung folgt. So sollen die Leute zu kritiklosen Verfechtern der Demokratie erzogen werden.

Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?

In allen Schulbüchern findet sich die Quintessenz: Faschismus ist ein Verbrechensregime, Hitler ist ein Verbrecher. Das ist Indoktrination, weil man gar nicht erst versucht, Faschismus zu erklären, sondern ihn schlicht abgrenzt gegenüber einem Wertesystem, das man selbst favorisiert. Die gesamte Bildung folgt einem didaktischen Dreisatz: Faschismus ist ein Verbrechen, Demokratie ist nicht Faschismus, also ist Demokratie schon deswegen zu loben. So erfahre ich weder etwas über Faschismus noch einen Grund, für Demokratie zu sein - außer dem, daß sie nicht faschistisch ist.

Zu behaupten, Hitler sei ein Verbrecher, ist aber doch nicht falsch, sondern Konsens.

Das macht es nicht richtiger. Hitler war zunächst ein Politiker, der sich seinen Rechtsstaat nach seinem politischen Programm geschaffen hat. „Verbrecher“ist ein Nachkriegsurteil, das den Maßstab des Siegers anlegt, aber nicht über den deutschen Faschismus aufklärt.

Ich kann mich daran erinnern, in der sechsten, der zehnten und der zwölften Klasse über die NS-Zeit informiert worden zu sein. Dazu gehörte aber die Aufklärung über die Weimarer Republik ebenso wie der Reichstagsbrand oder Hitlers Machtergreifung und die Zeit danach.

Unsere Kritik lautet nicht: Die NS-Zeit kommt zu kurz oder es werden Fakten verschwiegen. Nur, deren Interpretation hält keiner sachlichen Prüfung stand. Sie sagen es ja selber: Machtergreifung. So lernt man das. Hitler ist aber von einer knappen Mehrheit dafür gewählt worden, Deutschlands Größe auf faschistischem Wege wiederherzustellen.

Vermuten Sie hinter dieser Interpretation einen Zweck?

Ja. Wir sprechen von intendierter politischer Vergangenheitsbewältigung. Nach einem verlorenen Krieg ist jede politische Führung bestrebt, ihrem Volk ein neues Nationalbewußtsein zu schaffen. In diesem Fall mußte das ein antifaschistisches sein. Immerhin hatte Deutschland der Welt zu demonstrieren, in dieser Hinsicht geläutert zu sein. Aber in Sachen Antikommunismus sollten die Leute beim alten Denken bleiben.

Sie sprechen von nationaler Sippenhaft. Damit rücken Sie gefährlich in die Nähe der Herren Stoiber, Lummer und Gauweiler.

Wir meinen damit, daß die Betroffenheitspädagogik, Schülern klarmachen will, daß Sie sich für Taten ihrer Väter und Großväter schämen soll, mit denen sie nichts zu tun haben. Sie werden nicht als Menschen mit eigenem Verstand behandelt, sondern als Teil eines nationalen Kollektivs, in das sie sowieso nur zufällig hineingeraten sind. Stoiber und Gauweiler reicht heute der „negative Nationalismus“nicht mehr. Sie meinen: Das Sack- und Asche-Getue ist überholt, das paßt nicht zu uns als Großmacht mit Ambitionen.

Was steht an?

Das Schulmaterial muß entrümpelt werden, neu Schulbücher bräuchte es eigentlich. und auf wissenschaftlicher Ebene muß mit dem Dogma, Demokratie sei das Bollwerk gegen den Faschismus, aufgeräumt werden.

Interview: Jeannette Goddar

Das Buch „Alles bewältigt - nichts begriffen“, edition ost, wird heute, 20 Uhr, in der Stadtbibliothek Neustadt vorgestellt.