"Nationalteams sind antiquiert"

■ Basketballer Henning Harnisch hält Turniere wie die heute beginnende EM für überholt. Er würde Nationalisten eine "Regime-Meisterschaft" spielen lassen - die merkantilistische Mehrheit eine internationale "

taz: Die Europaliga boomt, und seit dem Bosman-Urteil wird der Basketball in den einzelnen Ländern immer internationaler. Sind da Veranstaltungen wie die EM noch zeitgemäß?

Henning Harnisch: Nein. Ich finde die Geschichte mit den Nationalmannschaften antiquiert. Die Motivation für die meisten Spieler ist, daß sie entweder für irgendwelche Verträge spielen – die EM als Börse – oder für ihr Land. Das zweite ist interessanter für Länder, in denen Sport eine größere politische Funktion hat, wie Jugoslawien oder die neuen Staaten in Osteuropa. Die sollen dann eben eine Regime-Meisterschaft spielen, mit Aufmärschen und so. Das erste könnte man wesentlich besser durch eine Summer League lösen. Leute, die einen Verein suchen, treffen sich an einem schönen Ort in Südeuropa am Meer, spielen am Abend und können sich nebenher noch ein bißchen entspannen.

Es fällt auf, daß in Spanien viele große Namen des europäischen Basketballs fehlen.

In einer Zeit, in der Vereins- Basketball immer wichtiger wird, eine EM bis zum 7. Juli zu veranstalten, bedeutet, daß die Spieler als Regenerationszeit danach bloß zwei Wochen haben. Immer mehr ältere Stars spielen die EM nicht, weil es einfach nicht möglich ist.

Entschädigt die Atmosphäre nicht für die Mühen?

Das ist ja das Superperverse. Man kennt Spieler aus dem Ausland seit tausend Jahren und sagt sich nicht mal mehr Hallo. Man hängt im gleichen Hotel ab, aber jeder hat so 'nen Bahnhofsblick. Keine Kommunikation. Auch das wäre ein Argument für die Summer League, in der man Mannschaften mischt mit europäischen Spielern. Die Tendenz geht sowieso zu einer großen Europaliga. Ich bin sicher, in vier, fünf Jahren wird das eine Alternativgeschichte zur NBA sein. In den großen Städten sitzen die Mannschaften, der Modus ist ähnlich wie in der NBA, und es gibt einen offenen Markt.

Würden Sie WM und olympischen Basketball auch abschaffen?

Das wirklich Positive, was ich mit der Nationalmannschaft erlebt habe, war Olympia 1992. Das kann man ruhig spielen – alle vier Jahre. Aber dieser Turnus, alle zwei Jahre Europameisterschaft, ist veraltet, obwohl der EM-Titel '93 natürlich toll war. Sinnvoll wäre vielleicht so etwas wie eine U 22-EM, bei der sich Leute, die sonst nicht viel zum Einsatz kommen, weiterentwickeln können.

Da sich die EM in Spanien mit Sicherheit nicht mehr verhindern läßt, ein kleiner Ausblick. Einfache Rechnung: Jugoslawien hat in Atlanta Silber geholt, die deutsche Mannschaft hat beim Supercup gegen Jugoslawien fast gewonnen. Also gehört sie zur absoluten Weltspitze.

Stimmt haargenau! Wir sind schon lange Weltspitze. Nee, ich denke, daß man sich von diesen Vorbereitungsturnieren nicht blenden lassen darf. Die Nationaltrainer haben diese Spiele genutzt, um Leute und Systeme zu testen, und sie haben auch ein bißchen geblufft. Wir waren dagegen nicht in der Lage zu bluffen, weil wir erst am Anfang stehen. Ich glaube, daß wir am ehesten an unserem Maximum gespielt haben.

Das aktuelle Team mit den College-Spielern hat bisher nur letzten Sommer zusammengespielt. Da waren Sie nicht dabei. Wie gut haben Sie sich in der kurzen Zeit aneinander gewöhnen können?

Es ist sicher nicht so, daß diese Mannschaft in diesem Sommer ihr Leistungspotential erreichen kann. Die Stärke des Teams ist schwer einzuschätzen, auch weil man noch nicht sagen kann, wie die Spieler in wirklich wichtigen Situationen reagieren. Bei einer so jungen Mannschaft kann sich die Unerfahrenheit zum Nachteil auswirken. Es kann aber auch ein Vorteil sein, wenn die Leute unbekümmert sind und einfach drauflosspielen.

Bundestrainer Lucic hält nichts von dem Trend, in den USA College-Basketball zu spielen. Er behauptet, man könne in der Bundesliga mehr lernen. Was sagen Sie mit Ihrer reichhaltigen College- Erfahrung dazu?

(lacht) Mit meiner neuntägigen College-Erfahrung kann ich aus dem vollen schöpfen. Ich glaube, daß das eine individuelle Geschichte ist, man kann kein großartiges Modell aufstellen. Ich hatte jetzt viel Gelegenheit, mit den College-Spielern zu reden. Man merkt, daß sie drüben viele gute Erfahrungen sammeln und daß es ihnen sehr, sehr viel Spaß macht. Das finde ich wichtig.

Was hat Sie damals eigentlich gestört?

Bei mir war das eine ganz persönliche Geschichte. Ich hatte eine Freundin in Deutschland und Heimweh, und habe dann ganz spontan gesagt, ich hab' keinen Bock. Wichtig für mich ist, daß ich das nie bereut habe.

Detlef Schrempf hat sich gewundert, daß die jugendlichen Basketballer in Deutschland hier keine großen Ziele haben, während in den USA jeder sagt, er wolle in die NBA.

Wenn man in den USA mit Basketball als Volkssport groß wird, bietet sich die NBA als Traum an. Hier gibt es eine ganz andere Tradition. Als ich angefangen habe, hatte man keine Möglichkeit, ein NBA-Spiel zu gucken. Dann orientiert man sich erst mal an seiner Regionalliga-Mannschaft und will halt da etwas erreichen. Man hatte gar keine Chance, sich Vorbilder auszuwählen. Vielleicht kam einmal im Monat im „Sport-Studio“ Göttingen gegen Heidelberg, und dann saß man vor dem Fernseher und hat sich gefreut, daß es Städte gibt, in denen Basketball wichtig ist.

Wie sind Sie unter diesen Umständen zum Basketball gekommen. Zu schlecht im Fußball?

Auf dem Bolzplatz hatte ich den Spitznamen „Motorschaden“. Ich weiß nicht, ob das der Grund war, daß ich nicht weiter Fußball gespielt habe. In der F-Jugend wollte ich in Marburg in den Fußballverein gehen. Mein Vater hat mich hingebracht, aber das Training fiel aus. Ich bin noch immer froh, daß ich nicht Fußball gespielt habe. Dann gab es in der Schule in der 5. Klasse Sport-AGs, und ich habe Basketball gewählt. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Waren Sie da schon groß?

Für mein Alter war ich groß, aber meine Theorie ist sowieso, wenn man groß werden will, wird man auch groß.

Für die hiesigen Jugendlichen ist Basketball weitgehend NBA. Andererseits gewinnt der deutsche Basketball an Boden. Wie war das, als Sie angefangen haben?

Mittlerweile hat sich Streetball absolut etabliert, was es damals gar nicht gab. Es gibt ein Wissen um die NBA, es gibt ein richtiges Leben damit. Jugendliche unterhalten sich nicht nur darüber, wie Gladbach gegen Bayern gespielt hat, sondern wissen, daß Phoenix dieses Jahr nicht so gut ist, weil der und der Spieler fehlt. Die kennen Namen. Als ich angefangen habe, kannte ich Magic Johnson, Kareem Abdul-Jabbar und Dr.J. Ich hatte keine Möglichkeit, irgendeine Information zu kriegen. Jetzt gibt es eine Mode, es gibt den Hip- Hop-Aspekt. Man muß allein sehen, wie oft ein Basketball in der Werbung auftaucht, als Zeichen für Hipness und Jugendlichkeit. Es ist Teil einer Jugendkultur.

Sie haben mit einem Randsport angefangen und betreiben jetzt einen, der im Mittelpunkt des Interesses steht. Ist das nicht ein komisches Gefühl?

Ja, das ist witzig. Ich bin mit 17 nach Gießen gegangen, das war 1985. Ab da ging es los, daß Basketball populärer wurde, daß die Gehälter rapide stiegen. In Gießen haben alle nebenher studiert, fünf Jahre später in Leverkusen waren fast alle Profis. Die Bundesliga ist in Deutschland allerdings immer noch Randsport. Das zeigt sich auch an den Vereinen. Es gibt immer noch Oberelchingen oder Rhöndorf, wo die Strukturen sind wie vor zehn Jahren.

Svetislav Pesic, der Trainer von Alba Berlin, hat kürzlich erzählt, wie seine Teams haushoch gegen College-Teams zu verlieren pflegten. Inzwischen, sagt er, könne eine gute Bundesliga-Mannschaft an einem guten Tag den College- Champion schlagen. Spricht das für Europa oder gegen Amerika?

Es spricht auf jeden Fall für eine Entwicklung des europäischen Basketballs, der sich in den letzten Jahren dramatisch verbessert hat. Ich habe eben noch mal das Endspiel von 1987 gesehen, das Griechenland gewonnen hat. Wie die vor zehn Jahren gespielt haben und wie jetzt gespielt wird, das ist ein riesengroßer Unterschied in Athletik, Defense, Technik.

Es fällt auf, daß NBA-Spieler in letzter Zeit oft Schwierigkeiten in Europa haben.

Es war vor fünf, sechs Jahren noch so, daß ein NBA-Spieler, der nach Europa gekommen ist, seine Mannschaft und die Gegner dominiert hat. Das ist aufgrund des Fortschritts im europäischen Basketball nicht mehr so. Viele denken immer noch, sie gehen nach Europa, dominieren da und machen die schnelle Mark. Aber dann haben sie einen harten jugoslawischen Trainer, trainieren viel, müssen pünktlich zum gemeinsamen Essen kommen, kriegen keine Extrafreiheiten und müssen sich unterordnen. Damit hatten viele Probleme.

Wann haben Sie sich von der NBA verabschiedet?

Die NBA war immer ein Traum. Ich hatte das auch geplant. Ich war ein Jahr auf der High School, wollte dann aufs College. Als ich das nicht gemacht habe, war es immer noch eine Perspektive. 1991, 1992 hätte ich die Möglichkeit gehabt, zu Trainingscamps zu gehen, aber ich glaube, daß ich realistisch genug war, um meine Chancen zu sehen. Ich war einfach nicht gut genug. Ich bin auch vom Denken her für die NBA nicht gemacht. Ich habe nicht diese Einzelkämpfermentalität. Man hat die Stars im Kopf, aber richtig hart wird es bei den Bankspielern. Und an denen hätte ich mich orientieren müssen. Was ich außerdem schätze, ist ein Gefühl für die Mannschaft. Ich glaube nicht, daß es das in, sagen wir, Cleveland gibt.

Man muß ja nicht gleich an das Schlimmste denken.

Cleveland soll gar nicht so schlimm sein.

Was dann?

Utah!

Die Erkenntnis, daß Basketball auch Show sein kann, setzt sich in Europa recht mühsam durch. Welche Regeln wären geeignet, den europäischen Basketball attraktiver zu machen?

Zonendeckung abschaffen! Wenn hier ein Spieler den Ball unterm Korb kriegt, hat er nicht nur einen Gegenspieler, sondern die ganze Zone ist voll. Die Schrittfehlerregelung! Wenn man erst einen Schritt machen kann, bevor man dribbelt, hat man viel mehr Möglichkeiten. Und dann sollte man ganz konsequent gegen diese „griechische“ unsaubere Defense pfeifen. Der Ansatz dabei ist: Man spielt dreckig und die ersten Pfiffe kommen konsequent. Aber irgendwann können die Schiedsrichter nicht mehr so viel pfeifen, weil sonst das ganze Spiel kaputt wäre.

Zurück zur EM. Sie spielen in einer Gruppe mit der Ukraine, Spanien und den Kroaten, denen ihre NBA-Spieler fehlen werden.

Kroatien ist so wahrscheinlich sogar gefährlicher als mit seinen Superstars. Sie haben ein riesiges sportliches Potential. Das sieht man auch daran, daß Kelecevic aus Bonn gerade noch reingerückt ist. Alle drei sind sehr schwere Gegner. Hört sich dumm an, ist aber so. Die Ukraine kennt niemand. Sie spielen schon sehr lange zusammen und sind in ihrer Qualifikationsgruppe Erster geworden. Die Spanier sind Heimmannschaft, haben die Halle voll und sehr gute Spieler. Insofern wäre es schon ein Riesenerfolg, wenn wir die Zwischenrunde erreichen. Realistisch ist, daß wir uns eventuell damit abfinden müssen, Gruppenvierter zu werden. Dann käme die Höchststrafe für jeden Turniersportler, Platz 13 bis 16 auszuspielen.

Italiens Trainer Ettore Messina sagte beim Supercup in Berlin, Jugoslawien sei weit voraus. Es gebe aber ein Bündel von Teams, für die von Platz 2 bis 9 alles möglich sei. Messina zählt auch die Deutschen dazu, denen er eine der besten Abwehren in Europa bescheinigt.

Er ist ein höflicher Mensch. Aber ich würde dem widersprechen. Es gibt Mannschaften, die länger zusammenspielen und mehr spielerisches Potential haben: die Griechen, die Italiener, die Russen, eventuell die Spanier. Für uns wäre jedes gewonnene Spiel schon ein toller Erfolg.

Die WM-Qualifikation zu schaffen, also einen der ersten fünf oder, wenn Gastgeber Griechenland vorn landet, sechs Plätze, wäre demnach eine Riesensensation.

Ja, würde ich so sehen. Interview: Matti Lieske