"Ein HipHop-Künstler in der Oper!"

■ Klassik, Rap und der ganze Jazz: Mit seinem Projekt Buckshot Lefonque buchstabiert Branford Marsalis Eklektizismus auf seine Weise: Lern dies, lern das. Glaub Spike Lee mehr als dem Ghetto-Blaster. Und l

taz: Im Song „Music Evolution“ auf Ihrer neuen Platte heißt es „Add a little this, take out a little that...“

50 Styles: „...then you'll come up with that jazz called rap.“

Was ist „jazz called rap?“

Branford Marsalis: Im Englischen gibt es den Ausdruck „all that jazz“, und das heißt so etwas wie „der ganze Kram“, ist also keine Anspielung auf die Musik „Jazz“. Das macht das Wortspiel von 50 Styles so brillant: Mach was aus dem Zeug namens Rap. Sie sollten nicht vergessen, daß Rap und HipHop heute so behandelt werden, wie das mal mit dem Jazz war. Man schätzt sie in Europa mehr als in Amerika.

Wo spielen Sie lieber diesen ganzen Jazz, in Europa, Japan oder den USA?

Branford: In den USA. Da kommt die Musik her. Die wenigen Amerikaner, die Jazz schätzen, verstehen ihn viel besser, als das die meisten Europäer tun. Weltweit sind mit jeder Region bestimmte Klänge verbunden. Beethoven oder Mozart klingen deutsch und nicht etwa italienisch, und Jazz klingt amerikanisch. Als wir auf dem Moscow-Jazz-Festival Schostakowitsch, Rimsky-Korsakoff und Rachmaninoff zitierten, waren die Leute begeistert. Das war ihre Musik, und die kannten sie.

Wie wichtig ist für Sie die klassische Musik?

Branford: Das ist eine sehr wichtige Periode. Großartige Musik. Das gibt dir einen Kick, den andere Leute in deinem Beruf nicht haben.

50 Styles: Ich hatte meinen ersten Kontakt zu Oper und klassischer Musik an der School of Music and Arts in New York City. Ich hätte Lust, mir mal wieder eine Aufführung anzusehen. Meine Freunde würden spotten: ein HipHop-Künstler in der Oper!

Branford: Leider ist die Oper in den USA nichts Lebendiges, sondern ein Statussymbol für Frackträger. Man geht nicht in Alltagskleidern in die Oper. In Amerika kannst du an der Kleidung erkennen, wer in welches Konzert geht. Zu einer Alternativ-Show trägt man ein Holzfällerhemd und Ohrringe, und zu den HipHop-Shows geht man in Hosen, die viel zu groß sind. Wenn 50 Styles im Anzug auf die Bühne käme, würden sie ihn runterbuhen.

Manche sagen, was Sie machen, sei kein HipHop.

Branford: Nun ja. Manche Leute sagen, ich hätte kein Recht, mit HipHop zu experimentieren, weil ich nicht 24 und nicht aus Brooklyn sei. Das ist Scheiße. Ich mag diese Musik. Andererseits würde ich die HipHop-Leute beleidigen, wenn ich mich wie sie anziehen würde. Ich muß die Tatsache akzeptieren, daß ich 36 Jahre alt bin und in Louisiana in einem relativ konservativen Haus aufwuchs. Das hieß: Ich trug konservative Kleider.

Wird Jazz nicht zur elitären Angelegenheit?

Branford: Jazz entwickelt sich zu einer elitären Sache. Nehmen Sie das Medieninteresse: Wenn ich Jazz spiele, habe ich weniger Resonanz, als ich gewohnt bin. Der Jazz ist die klassische Musik von Amerika. Jeder sitzt da, als sei er verdammt tot. Dagegen habe ich etwas. Wir ermutigen die Leute zu reden, während wir spielen. Nicht laut, aber sie sollen uns zurufen, daß sie mögen, was wir machen. Wir sagen: Laß es raus.

Haben Sie aus Frust über die Jazzszene das Projekt Buckshot begonnen?

Branford: Nicht im geringsten. Ich wuchs mit populärer Musik auf, und ich will mit Leuten wie Apollo, 50 Styles, Frank McComb kreative, experimentelle Musik machen. Zur Zeit höre ich vor allem klassische Musik und eben HipHop und spiele klassische Musik, um meine Technik in Schuß zu halten.

Was spielen Sie?

Branford: Es gibt Tonnen von klassischen Stücken für Saxophon, Stücke von Jacques Ibert, von Hector Villa Lobos, dann „Freundschaft“ von Stockhausen, Stücke von Edison Denisow, Rachmaninoff... Berge von Zeug. Die Kollegen aus der klassischen Abteilung der Michigan State University – dort unterrichte ich – legen mir immer wieder etwas Neues hin. Lern dies, lern das. Ich mache wahrscheinlich 1998 eine weitere Klassikplatte. Oder 1999.

Apollo und 50 Styles, wie kamen Sie zu Buckshot Lefonque?

Apollo: Ich gewann 1992 die Weltmeisterschaft der DJs und wurde über eine Managerin vermittelt.

50 Styles: Ich wurde beim New Music Seminar zweitbester Rapper. Der Produzent des ersten Buckshot-Albums, DJ Premier, empfahl mich. Als Branford anrief, wußte ich nicht, wer das ist. Trotzdem bin ich nach Los Angeles, sah ihn und dachte: Scheiße, den Kerl kennst du von irgendwo. Dann stellte sich heraus: Wir hatten zusammen einen Kurzfilm für Spike Lee gemacht, „Saturday Night Love“. Ich war damals zwölf und mußte ihm Geld stehlen.

Branford: Sein verdammtes Grinsen hat er immer noch. Eigentlich sollte er ein Schlägertyp sein, aber immer, wenn Spike „Action“ sagte, begann er zu grinsen.

50 Styles: Meine Mutter ließ mich den Film nie ansehen. Sie war entsetzt: ihr Baby als Gangster.

Was halten Sie von Spike Lee?

Branford: Er hat ernsthaften Filmen von Schwarzen über Schwarze eine Tür geöffnet. Die meisten Filme – außer seinen – handeln von Gangstern und High- School-Kids, die sich auslöschen, erschießen und so weiter. Es ist eine Tragödie, daß schwarze Amerikaner das regelmäßig sehen und denken, das sei unsere Identität, aber nicht in Filme wie Spike Lees „Getting on the Bus“ gehen.

Lee zeichnet das realistischere Bild?

Branford: Ja. Amerika ist sehr rassistisch, aber es geht dabei nicht nur um Ballereien und so was. Wissen Sie, wie es ist, wenn Frauen aus Angst vor dir quer über die Straßen rennen, wenn dir die Sicherheitsleute in den Läden folgen? Dabei könnte ich den halben Laden kaufen! Ich ging in Chicago in ein wirklich exklusives Bekleidungsgeschäft und sagte: Ich möchte diese Hosen. Und der Typ flüstert: Mein Herr, diese Hosen kosten 200 Dollar. Da sagst du: „Was meinen Sie genau?“ – „Oh, ich dachte nur, ich lasse Sie das wissen.“

So ist es. Immer noch. In unserem Land gibt es viel Ignoranz, aber auch viele coole Leute. Die meisten Buckshot-Fans sind weiß, ebenso die meisten Jazzfans. Ich kenne Weiße, mit denen ich mich identifiziere, und mit vielen Schwarzen kann ich mich nicht identifizieren. Interview: Werner Stiefele

23.6. München; 24.6. Nürnberg; 25.6. Köln; 3.7. Frankfurt/M.; 5.7., Braunschweig; 15.7. Dortmund; 16.7. Berlin