Grönland wird womöglich zum Atomklo der Welt

■ Regierung bietet an, Atomraketenmüll aus Rußland und den USA endzulagern

Kopenhagen (taz) – Grönland ist bereit, Atommüll, der bei der Verschrottung amerikanischer und russischer Atomraketen anfällt, auf der Insel endzulagern. Dies meldete die dänische Zeitung Jyllands-Posten. Innerhalb der grönländischen Regierung soll darüber grundsätzliches Einverständnis bestehen. Ministerpräsident Lars Emil Johnson wird zitiert: „Wir wollen unseren Beitrag zum Frieden in der Welt leisten.“

Bekannt ist, daß es seitens des Pentagons schon seit längerem Pläne für ein Atomklo Grönland gibt. Im Februar war ein gemeinsames Gutachten von außen- und verteidigungspolitischen ExpertInnen der Rand Corporation und des Pentagons veröffentlicht worden, die ein Lager für atomaren Raketenabfall bei der US-Basis Thule in Nordgrönland vorschlugen. So könne am ehesten verhindert werden, daß Waffenplutonium und anderer Abfall aus der Verschrottung von Atomraketen in die Hände „extremer Länder oder Gruppen“ falle oder daß das Material heimlich zu neuer atomarer Aufrüstung verwendet werde.

Das Gutachten wies darauf hin, daß das ungelöste Lagerproblem die gesamte atomare Abrüstung gefährde. Beim jetzigen Tempo werde es 90 Jahre dauern, bis die bereits beschlossenen Abrüstungsschritte laut START I und II verwirklicht seien.

Damals wie auch jetzt war von Dänemark, das im halbautonomen Grönland nach wie vor über außen- und verteidigungspolitische Fragen bestimmt, jeder Gedanke an ein solches Lager zurückgewiesen worden. Außenminister Niels Helveg Petersen nannte die Pentagon-Idee im Februar „völlig inakzeptabel“. Möglich ist allerdings, daß Grönlands Regierung selbst über diese Frage entscheidet, da diese als innenpolitische bewertet werden kann.

Der Rand-Report winkte mit reichem Gewinn für die chronisch leere grönländische Staatskasse: „Grönland ist in ökonomischen Schwierigkeiten“, heißt es in dem Bericht, „die Aussichten auf zusätzliche Arbeitsplätze und die Einkünfte, die aus einem solchen Lager zu erwarten sind, könnten ein wesentliches Argument werden, dessen Errichtung auf Grönland zu akzeptieren“.

In dem Bericht werden die Investitionskosten für das Eislager auf rund fünf Milliarden Mark beziffert. Das isoliert liegende Thule sei besonders geeignet: Die harten Wetterbedingungen und die Verkehrsverhältnisse ließen den Versuch eines Angriffs einer fremden Macht oder extremistischer Gruppen minimal erscheinen, und das Mutterland Dänemark sei politisch sehr stabil. Schließlich verfüge die US-Basis Thule bereits über Bunker, die zur Zwischenlagerung dienen könnten, sowie einen ausreichend großen Flugplatz.

Unabhängige Nuklearexperten haben die Thule-Pläne bislang weitgehend abgewiesen. Eisforscher halten das Eis für völlig ungeeignet für eine langfristige Lagerung und befürchten für den Fall eines Unglücks eine radioaktive Verstrahlung des empfindlichen arktischen Milieus mit unabsehbaren Folgen. Auch ein stetiger Flugverkehr mit Atommüll nach Thule wird als hohes Sicherheitsrisiko eingeschätzt: 1968 war nahe Thule ein US-Atombomber abgestürzt, der zu schweren Gesundheitsschädigungen bei dem Personal geführt hatte, das die Unglücksstelle zu reinigen hatte. Reinhard Wolff