Bei den Eingaben sind Ostler Spitze

Der Jahresbericht des Petitionsausschusses verzeichnet 3.400 Eingaben weniger als noch im Jahre 1995. Spiegelbild der deutschen Seelenlage. Ostdeutsche beschweren sich häufiger  ■ Aus Bonn Severin Weiland

Gewöhnlich beackern die Mitglieder des Petitionsausschusses Eingaben von Bürgern. Manchmal aber ergeht es den Parlamentariern im Bundestag nicht anders als dem Rest der Republik. Auch sie wollen sich beschweren, drängen auf Verbesserungen. Christa Nickels, Vorsitzende des Petitionsausschusses, ergriff die Gelegenheit gestern beim Schopfe. Bei der Präsentation des Jahresberichts 1996 wandte sich die Bündnisgrüne mit einer Eingabe in eigener Sache an Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Weil Stellen der Verwaltung unbesetzt blieben, könnten Anfragen von Bürgern nicht in dem Maße persönlich beantwortet werden, wie man es sich wünsche. Ob die Grüne mit ihrer Beschwerde Erfolg haben wird? Christdemokratin Süssmuth quittierte die höfliche Kritik mit einem ebenso höflichen Lächeln.

Kein anderer als der Petitionsausschuß weiß besser, was den Bürger am meisten drückt. Denn jeder hat nach dem Grundgesetz das Recht, sich einzeln oder als Gemeinschaft mit Bitten oder Beschwerden an den Bundestag zu wenden. Vor allem der Osten, wo zu DDR-Zeiten die Eingabe an Erich Honecker persönlich oder an den Staatsrat die einzige Möglichkeit war, sich offiziell zu beschweren, macht davon besonders regen Gebrauch. Ostdeutsche schickten – hochgerechnet auf eine Million Bürger – im letzten Jahr 331 Eingaben, die Westdeutschen nur 189. Am häufigsten trieb es die Sachsen zur Feder.

Ganz oben auf der ostdeutschen Beschwerdeliste stand und steht die ungleiche Behandlung beim Rentenrecht. Der massive Druck – allein 40.000 Eingaben in den vergangenen sechs Jahren – hatte durchaus Erfolg. Teile der Vorschläge wurden bei der Änderung des Rentenüberleitungs-Gesetzes berücksichtigt, das seit Ende 1996 die Kürzung der Altersgelder auf DDR-Spitzenfunktionäre und hauptberufliche Stasi-Mitarbeiter beschränkt. Die Verbesserungen seien ein Grund, glaubt Nickels, daß die Eingaben gegenüber 1995 um rund 3.400 auf nunmehr etwa 18.000 zurückgingen. Die meisten Briefe richten sich an das Arbeits- und Sozialministerium. Mit großem Abstand folgen Finanzen und Inneres.

Petitionen scheinen Männersache zu sein, nur 30 Prozent werden von Frauen geschrieben. Aber auch Kinder nutzen den Artikel 17 um Kritik oder Verbesserungen loszuwerden. Immer aktuell: Tier – und Umweltschutz. Eine Gruppe von Jugendlichen übergab letztes Jahr 90.000 Unterschriften für ein neues Sommersmoggesetz – die Beratung über die Eingaben dauert noch an.

Die Palette der Bitten und Beschwerden ist groß. Da wird die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe gefordert, setzen sich Bürger für einen Abschiebestopp von Asylbewerbern ein, beschweren sich andere über zu lange Bearbeitungszeiten beim Kindergeld, verlangt ein Paar Wohngeld für nichteheliche Lebensgemeinschaften. Nicht immer zeigen sich die Ministerien willig, die vom Ausschuß weitergeleiteten Eingaben auch zügig zu bearbeiten. Lob sprach Nickels dem Arbeitsministerium aus, aber auch das Verkehrsministerium strenge sich gehörig an: Einem Kind, das gegen eine Umgehungsstraße in seinem Ort protestierte, wurde in einem langen Brief „und sehr verständlicher Sprache“ (Nickels) geantwortet.

Daß der Petitionsausschuß keineswegs nur eine große Papierbearbeitungsmaschine ist, zeigen einige Erfolgsmeldungen: Die Ausweisung eines ehemaligen DDR- Vertragsarbeiters, der eine CD geklaut hatte, konnte verhindert werden, nachdem zuvor das Bundesinnenministerium strafrechtliche Bestimmungen beim Bleiberecht geändert hatte. Hilfe wurde auch einem 95 Jahre alten jüdischen Mann aus Rumänien zuteil, der schließlich als Spätaussiedler anerkannt wurde.

Trefflich spiegeln die Eingaben die in den Medien berichteten Themen wider. Als im letzten Jahr ausführlich über die Kindermorde in Deutschland und Belgien berichtet wurde, gingen fast eine Million (!) Unterschriften ein, in denen unter anderem eine Verschärfung des Strafrechts für Sexualdelikte, aber auch neue Therapien für Täter gefordert wurden. Mittlerweile liegen, unabhängig vom direkten Druck der Bürger, von allen Fraktionen Gesetzentwürfe für eine Reform des Sexualstrafrechts vor.

Nicht alles, was den Petitionsausschuß erreicht, findet ungeteilte Zustimmung. Etwa den Herzenswunsch einer Bürgerin, doch bitte schön nach dem Plutoniumskandal den Bundesnachrichtendienst abzuschaffen. Artig ließ das Kanzleramt wissen, das Amt werde zwar Stellen in naher Zukunft abbauen, eine Abschaffung komme aber nicht in Frage.