Sarkuhi vor Gericht

■ Iran: Der Druck auf Intellektuelle nimmt zu

Faradsch Sarkuhi bleibt weiterhin ein Spielball der iranischen Machthaber – trotz der überraschenden Wahl des als Freund der Intellektuellen geltenden Mohammad Chatemi zum künftigen Präsidenten der Islamischen Republik. Der Chef des iranischen Justizapparats, Ajatollah Mohammad Jasdi, ließ sich in seiner gestrigen Erklärung bewußt die Option der Höchststrafe für Sarkuhi offen. Die Anschuldigungen gegen den Schriftsteller hätten unter anderem mit „Spionage“ zu tun. Im Iran kann eine solche Anschuldigung ein Todesurteil bedeuten.

Beobachter in Teheran waren seit Chatemis Wahl am 23. Mai verhalten zuversichtlich geworden, daß die Machthaber den Fall Sarkuhi nicht mehr zum Spionageprozeß aufblasen würden. Sarkuhis Angehörige hofften, der Schriftsteller werde sich allenfalls wegen angeblich versuchter Republikflucht verantworten müssen. Der Vorwurf ist ebenso eine hinterhältige Erfindung wie der des Agententums – aber längst nicht so bedrohlich für den Beschuldigten.

Sarkuhi werde wegen des angeblichen Versuchs der illegalen Ausreise zu einer relativ milden Gefängnisstrafe verurteilt werden, Präsident Chatemi käme dann die Aufgabe zu, ihn bald nach seiner Amtsübernahme im August zu begnadigen, lauteten die hoffnungsvolleren Spekulationen. Diese wurden gestützt durch kleine positive Veränderungen seit dem Wahlgang. So räumte erst vor wenigen Tagen ein als Intellektuellenfresser berüchtigter stellvertretender Minister für Kultur und Religiöse Führung seinen Stuhl zugunsten eines als gemäßigter geltenden Vertreters.

Doch Jasdis gestrige Erklärung ist ein Signal, daß trotz Chatemis Wahl auch weiterhin gegenteilige Entwicklungen zu erwarten sind. Irans Konservative wollen weiter ihr brutales Spiel mit den ihnen verhaßten Intellektuellen betreiben – zum bewußten Schaden Chatemis. Weil einige seiner Gegner dessen Politik um jeden Preis sabotieren wollen, müssen Regimekritiker vielleicht gerade jetzt erst recht um Leib und Leben fürchten. Kaum etwas würde das internationale Ansehen des künftigen iranischen Staatspräsidenten nachhaltiger ruinieren als die Fortsetzung der Verfolgung von Intellektuellen – und vor allem: ein Todesurteil gegen Faradsch Sarkuhi wegen Spionage. Thomas Dreger