Ade, du feine Seele

■ Das renommierte Druckhaus Hentrich hat Konkurs anmelden müssen. Zum Verleger wurde Gerhard Hentrich einst durch die Zusammenarbeit mit der Schaubühne. Ein Nachruf auf die Druckkunst

Eine der feinsten und hochwertigsten Druckereien Berlins, das Druckhaus Hentrich, hat Konkurs angemeldet. Der angeschlossene Verlag Edition Hentrich kämpft noch um eine Zukunft. Ein Stück Berliner Kultur stirbt. Der Fortschritt ist schuld. Na ja, zu 75 Prozent. Und das kam so:

Anfangs war das Druckhaus Hentrich ein mittelständisches Unternehmen. Briefpapier und Visitenkarten wurden hergestellt, allenfalls das eine oder andere Programmheft für die Staatlichen Bühnen, da Gerhard Hentrich – von Steglitzer zu Steglitzer – mit dem Intendanten Boleslav Barlog bekannt war. Hentrichs Chance, Geschäftstüchtigkeit und Kunstsinn in größerem Stile zu verbinden, kam dann Anfang der 70er.

Den Anstoß gab Karl Ernst Herrmann, der 1970 mit Peter Stein an die Schaubühne gekommen war. Neben seiner Tätigkeit als Bühnenbildner entwickelte Herrmann – lange bevor der Begriff „Corporate Design“ im Theater Einzug hielt – auch ein Konzept für das Erscheinungsbild der Schaubühne.

In Ergänzung zu Steins Inszenierungen und Herrmanns Raumbühnen entstanden Programmbücher, die einerseits die theatralisch- dramaturgischen Recherchen dokumentierten, andererseits Spiegel und Archiv gesellschaftlicher Zusammenhänge waren. Die Gestaltung war – wie die der Plakate – ästhetisch kühn und verspielt zugleich, inspiriert vom Stil einer Neuen Sachlichkeit und von bestem traditionellem Kunsthandwerk.

Daß dies alles umgesetzt werden konnte, war Hentrichs Verdienst. Sein enormes Talent lag in der Gabe, unorthodoxe Ideen und Entwürfe in druckhandwerkliche Prozesse – in den 70ern noch im Bleisatz – moderieren und übersetzen zu können und zu wollen. Die Schaubühne hatte in Hentrich einen kongenialen, ambitionierten Partner gefunden. Er schaffte Maschinen an, die in der Lage waren, Herrmanns farbenprächtige Plakate in ungewöhnlichsten Formaten, immer außerhalb der DIN-Normen, herzustellen. Seine Neuerwerbungen versetzten ihn zudem in die Lage, auch kurzfristig produzieren zu können – für Theater manchmal eine Frage des Überlebens.

Schließlich bot Hentrich der Schaubühne an, auf sein eigenes Risiko ein Buch zu „Peer Gynt“ zu drucken, dem ersten Großprojekt der Stein-Ära – der Verleger Hentrich war geboren. Neben der Sympathie für die damals wilde Schaubühne half sicher auch eine wirtschaftliche Überlegung bei der Geburt: Unausgelastete Druckmaschinen mußten zwischen den einzelnen Druckaufträgen nicht länger stillstehen.

Für eine gewisse Zeit verband sich Hentrichs Höhenflug mit dem der Schaubühne. In den folgenden zehn Jahren befeuerte man sich gegenseitig, die Plakate und Programmbücher wurden immer aufwendiger und raffinierter. Schließlich wurden sie Legende. Die Erfahrung, hochwertiges Handwerk und eine großzügige technische Ausstattung machten Hentrich zu einer der angesehensten Druckereien West-Berlins. Andere Theater, die Festwochen, Ausstellungsmacher und Kunstbuch-Herausgeber machten Hentrich zu ihrer Hausdruckerei. Der Laden brummte. Das Druckhaus baute an. Die Angestellten profitierten. Hentrich wurde reich und renommiert.

Aus dem Verlag wurde bald nach seinem ersten Buch ein auf Theater, jüdische Kultur und Berliner Stadtgeschichte spezialisierter Kleinverlag. Raritäten, Absonderlichkeiten und vergessene Helden bekamen ihre Denkmäler in Buchform. Klaus Völker und seine Kortner- und Elisabeth Bergner- Biographien. Syberbergs „Penthesilea“-Dokumentation. B. K. Tragelehns „Theaterarbeiten“. Bücher über Beckett in Berlin, Reinhardt und Fehling. Ergänzend und thematisch verschränkt ist der große Anteil von Büchern über jüdisches Leben im Verlagsprogramm.

Mit 1989 kam die Wende. Aufschwung Ost. Abschwung West. Wirtschaftshilfe für den Osten. Sparzwang für den Rest. Umschwung bei Hentrich. Nach Jahren des Booms sah sich das Druckhaus mit gravierenden Marktveränderungen konfrontiert. Mit der Schließung der Freien Volksbühne und des Schiller Theaters verlor es wichtige Kunden. Die billigen Ost- Druckereien machten Konkurrenz, und die hohe Hentrich-Qualität hatte ihren Preis. Kompetentes Personal, Sonderkonditionen, ein großer Maschinenpark waren nicht billig.

Der Reichtum förderte den Hochmut. Die Belegschaft wollte auf ihre in fetten Zeiten erkämpften Spitzenlöhne und Privilegien nicht so ohne weiteres verzichten. Legten die Auftraggeber früher Wert auf Erfahrung, Kreativität und Flexibilität, schauen sie inzwischen vor allem auf die Kosten. Zusätzlich revolutionierte sich das Druck- und Computerwesen. Theaterleute fertigen Texte und Spielpläne heute lieber selbst an ihren Macs und verzichten auf hohe Auflagen, teures Papier und originelle, aber aufwendige Ausstattungen.

Hentrich büßte einige Großkunden ein, und als die Gemeinschaft der Berliner Bühnen vorletzte Woche auch noch den Auftrag für den gelben Berek-Plan entzog, gab das Druckhaus Hentrich schließlich endgültig auf.

Immerhin, der Verlag von Gerhard Hentrich ist noch nicht verloren. Aber wo werden all die arbeitslos gewordenen hochqualifizierten Setzer und Drucker des Druckhauses jetzt eigentlich hingehen? Wohin verschwinden ihre Geschichten? Ade, Druckhaus Hentrich, du alte, feine Seele, nun gehörst du der Unsterblichkeit. Felix Schnieder-Henninger

Der Autor ist Pressereferent der Schaubühne