Vorschläge

■ Zum feministischen Umbau der Arbeit

Die „Arbeitsgesellschaft“ ist in die Krise geraten. Eine hohe und immer noch wachsende Zahl Menschen ist erwerbslos. Andere finden nur noch befristet Beschäftigung oder sind immer stärker außerhalb der „Normalarbeitszeit“ beschäftigt; also nicht mehr vollzeitbeschäftigt, tagsüber, montags bis freitags und ohne Variationen. 1995 arbeiteten nur noch ganze 17 Prozent der Beschäftigten „normal“, Tendenz steigend.

Frauen sind gerade dort tätig, wo das Normalarbeitsverhältnis nicht oder nur unvollkommen greift: als Hausfrauen, erziehende Mütter oder pflegende Töchter, als ehrenamtlich Tätige, in Kleinstbetrieben, bei Teilzeitarbeit oder befristeter Beschäftigung. Das ist die Kehrseite der Medaille des Normalarbeitsverhältnisses: Die eine Hälfte der Bevölkerung, vorrangig die männliche, kann nur dann ununterbrochen erwerbstätig sein, wenn die andere Hälfte, vorrangig die weibliche, ihr „privat“ den Rücken freihält.

An diesem Ungleichgewicht ändern auch Quoten nicht viel. Frauenquoten und Gleichstellungspläne erleichtern Frauen lediglich den Zugang in Normalarbeitsverhältnisse, wenn sie bereit sind, in Vollzeit, ununterbrochen und lebenslang erwerbstätig zu sein. Insofern sollte man nicht zuviel Tränen vergießen über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das das Bremer Gleichstellungsgesetz für verfassungswidrig erklärte.

Von Gewerkschaftsseite, insbesondere Ingrid Kurz-Scherf und Heide Pfarr, stammt der Vorschlag, durch radikale Arbeitszeitverkürzung die Vollzeitarbeit quasi abzuschaffen. Mit dem 6-Stunden-Tag, der 25-Stunden- Woche oder dem 1.000-Stunden- Jahr für alle möchten sie zu Normalarbeitszeiten kommen, die auch für Frauen ohne verändertes Geschlechterrollenverhalten leistbar sind. Aber Arbeitszeitverkürzung ist offenbar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Gleichstellung. Das zeigen auch die Erfahrungen mit der 28,8-Stunden-Woche bei VW. In der Realität wird eine gravierende Arbeitszeitverkürzung nicht nur auf den Widerstand der privaten und öffentlichen Arbeitgeber stoßen, sondern auch auf Vorbehalte der Beschäftigtenseite. Für die einen, meist Frauen mit kleineren Kindern, sind 25 Stunden immer noch zuviel. Die anderen, eher Männer, wollen weder nach fünf Stunden nach Hause noch weniger verdienen.

Solidarität, auch unter Frauen, wird schwieriger, wenn sie von Ungleichheiten ausgehen muß. Mutterschaft ist heute der Statistik nach ein größeres Erwerbsrisiko als bloßes Frausein. Gemessen an ihrer Erwerbsbeteiligung gleicht die Gruppe der ledigen Frauen inzwischen viel stärker den Männern in ihrer Gesamtheit als der Gruppe der verheirateten Frauen. Gemeinsamkeit zwischen Frauen wäre allerdings auf höherer Ebene wieder herstellbar: Jede Frau möchte in ihrer Differenz als gleichwertig berücksichtigt werden und soziale Sicherheit für ihre Existenzweise erleben. Es muß darum gehen, über bloße Arbeitszeitverkürzung hinaus diverse Optionen der Lebensführung gleichberechtigt abzusichern.

„Optionalisierung“ meint, daß Beschäftigte wie in einem Baukastensystem ihre Beschäftigungsform (abhängig, mehr oder weniger frei), ihren Beschäftigungsort (zu Hause, im Betrieb, im Wechsel zwischen beidem, Nachbarschaftsbüro) und ihre Arbeitszeit (Stundenzahl, Lage) individuell wählen können. In den Flexibilisierungskonzepten von Bundesregierung und Wirtschaft fehlt es jedoch an jeder Form verhandelbarer Optionalität. Man möchte Arbeit auf Abruf je nach wechselndem Unternehmerbedarf, aber keine Gestaltung der Arbeitszeit durch die Beschäftigten. In einem solchen Optionalisierungskonzept würden die Beschäftigten nach einzelvertraglich zu vereinbarenden monatlichen Durchschnittswerten bezahlt. Arbeitszeitkonten, betriebliche Rotationspläne bis hin zu Sabbatjahren machen Abweichungen möglich und vorhersehbar.

Frauen werden auf von „ihren“ Männern abgeleiteten Sicherheiten verwiesen: Familienkrankenversicherung, Unterhalt des Mannes, Witwenrente. Die soziale Sicherung muß also aus ihrer engen Verklammerung mit dem Arbeitsverhältnis gelöst werden, in Richtung existenzsichernde Grundeinkommen und Grundrenten. Das Ehegattensplitting müßte ebenso wie besondere Steuerklassen für „hinzuverdienende“ Ehefrauen fallen. Statt dessen müßte individuell besteuert werden. Sibylle Raasch

Die Autorin ist Professorin an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik