piwik no script img

■ SURFBRETTEin Asyl für deutsche Linke

Langsam, aber stetig reift die Einsicht heran, daß Computernetze zwar im Kapitalismus entstanden sind, aber vielleicht doch nicht ausschließlich kapitalistischen Interessen dienen müssen. Schließlich sind auch Hammer und Sichel oder, wahlweise, Maschinengewehre vorsozialistische Werkzeuge. Selbst Linke, die sich auf solche Symbole berufen, nähern sich heute dem Web – Anarchisten hatten schon immer eher Verständnis dafür, die technische Basis des Internets kommt ihren Bedürfnissen nach Kommunikation unter Gleichen erstaunlich nahe.

Ausgerechnet der Eurogipfel von Amsterdam hat nun einen europäischen Meilenstein auf dem Weg dieser Annäherung zweier Welten gesetzt. Seit diesem Datum ist unter www.contrast.org/ eine Website abrufbar, die für sich in Anspruch nimmt, der linken Politik im World Wide Web Asyl zu gewähren. Radikale Sozialisten, Anarchisten und sogenannte Autonome sind gleichermaßen auf der Baustelle willkommen. Der Besuch lohnt sich schon heute, leider ist zu befürchten, daß auch Staatsanwälte die Adresse dieses Servers in Amsterdam ganz oben auf ihre Bookmarkliste setzen, noch vor xs4all.

Das ist nun mal nicht zu verhindern, um so wichtiger ist der Schritt in die Öffentlichkeit. Unter dem Stichwort „Projekte“ hat die deutsche „autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe“ Zuflucht gefunden. Wie das Kürzel zu entziffern ist, bleibt unklar, multimedialer Glanz fehlt, wird aber durch bemerkenswert lesbare Papiere wettgemacht. Als globales Ziel gilt der Aufbau einer „Kommunikationsguerilla“, deren Funktion im einzelnen freilich noch ziemlich unbestimmt bleibt. Die deutschen Radikalen sind dabei, in langen Texten die Netzlogik zu buchstabieren, das aber tun sie hier ohne Scheuklappen. Unter dem Titel „Bewegungsle(e/h)re“ fallen bemerkenswerte Sätze: „Obwohl die (radikale) Linke sich permanent darüber vergewissert, welch toter Hund sie im Grunde genommen sei, will sie doch immer noch nicht ganz daran glauben. Derzeit unternehmen nicht wenige diskutierende Zirkel einen Wiederbelebungsversuch unter dem Label ,Gegenöffentlichkeit‘. Doch für uns besteht der Verdacht, daß die Roßkur des medialen (Dis)kurses von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, nachdem die Utopien abhanden gekommen sind.“

Jammern hilft nichts, unter www.contrast.org sind Links zu Websites zu finden, die dem Anarchismus des Netzes auch schon ästhetisch Rechnung tragen, zum Beispiel: www.nepenthes.com/ Hacks/index.html niklaus@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen