■ Iran: Der Schriftsteller Huschang Golschiri über die Zensur und das mögliche Schicksal seines Kollegen Sarkuhi
: „Sie sind unberechenbar“

taz: Was für Veränderungen erwarten Sie nach der Wahl des als gemäßigt geltenden Mohammad Chatemi zum iranischen Präsidenten?

Huschang Golschiri: Jeder muß das Recht haben, zu schreiben und zu veröffentlichen, was er denkt. Sie sollen nicht vorab zensieren. Wenn jemand etwas Falsches geschrieben hat, dann soll er sich hinterher vor Gericht verantworten. Aber jetzt lesen die Zensoren vor einer Veröffentlichung jedes einzelne Wort. Sie sagen: Verändere dieses oder jenes Wort, streiche diese zehn Seiten. Das gilt auch für Übersetzungen von Thomas Mann oder Günter Grass. Alles wird zensiert.

Glauben Sie, daß Chatemi die Zensur lockern wird?

Wir sprechen nicht über Lockerung. Das hieße, man würde von mir verlangen, nur ein paar Wörter zu verändern. Alle Bücher müssen veröffentlich werden dürfen.

Was haben Sie für Erfahrungen mit der Zensur?

Am Anfang, zwei, drei Jahre nach der Revolution, habe ich immer meine vierjährige Tochter mitgenommen, wenn ich in das dafür zuständige Ministerium für Kultur und Religiöse Führung gegangen bin. Ich habe gedacht: Wenn sie mich festnehmen, kann ich sagen, ich müßte zuerst meine Tochter nach Hause bringen. Ich habe damals eine Kurzgeschichte vorgelegt. Der zuständige Mann hatte elf verschiedene Einwände. Ich wollte kein einziges Wort verändern. Akzeptiert man Veränderungen, werden es beim nächsten Mal immer mehr. Das ist ekelhaft. Manchmal hat man das Gefühl, daß sie einen erniedrigen wollen.

Was für Texte sollten Sie nicht veröffentlichen?

Das wichtigste sind für die Zensoren Dinge, die irgend etwas mit dem Verhältnis zwischen Männern und Frauen zu tun haben. Viele klassische persische Stücke dürfen nicht veröffentlicht werden, weil darin Wörter wie „Brust“ vorkommen. Wie kann ich als Schriftsteller eine Frau beschreiben, ohne ihren Körper zu erwähnen? Aber es gibt weitere Themen: Ich kann nicht über den Islam schreiben, wie ich darüber denke, ich kann nicht über Krieg schreiben, wie ich darüber denke.

Zurück zur Wahl von Chatemi. Glauben Sie, daß der physische Druck auf Intellektuelle nachlassen wird – beispielsweise Angriffe durch Schlägertrupps?

Dahinter stecken viele Leute. Ich sage immer: Wir haben einen großen Kopf auf einem dünnen Körper. Der große Kopf besteht aus Mullahs, Revolutionswächtern, Mitgliedern des Informationsministeriums, reichen Händlern aus dem Basar. Das meiste Geld des Landes fließt in diesen großen Kopf. Schon Rafsandschani ist an ihm gescheitert. Chatemi müßte die Größe des Kopfes dem Körper anpassen.

Es gibt im Iran viele mächtige islamische Organisationen, bei denen nicht klar ist, wem sie eigentlich unterstehen. Beispiel Ansar-e Hisbollah – Schlägertrupps mit Motorrädern. Wo ist deren Hauptquartier? Wer ist ihr Anführer? Wer bezahlt sie? Wer sind die Leute, die Buchhandlungen in Brand gesteckt haben? Wer sind die Leute, die einige der Intellektuellen ermordet haben? Wer steckt hinter ihnen? Ein Teil des Machtapparats gehört vor Gericht gestellt.

Glauben Sie, daß Chatemi diese Dinge wirklich ändern will?

Er war schon einmal Minister für Religiöse Führung. Damals war er kein guter Manager, er war nicht stark genug. Er hat viel Macht an andere Leute delegiert und sie dann nicht mehr kontrolliert. Eines meiner wichtigsten Bücher durfte zu seiner Amtszeit nicht veröffentlicht werden. Er ist nicht stark in organisatorischen Dingen. Er hat nicht gerne Macht. Deshalb ist er damals von seinem Ministeramt zurückgetreten. Später wurde er Leiter der Nationalbibliothek. In der Funktion hat er engen Kontakt zu den Intellektuellen gehalten. Er hat sich hinter den Kulissen für sie eingesetzt. Im Unterschied zu anderen iranischen Politikern ist er nicht korrupt. Er glaubt, daß alle Menschen gleich viel wert sind. Aber ein guter Mensch zu sein, ist nicht genug.

Warum haben ihn dann so viele Menschen gewählt?

Viele Leute haben Chatemi nicht gewählt, weil sie für ihn waren, sondern weil ihre Stimme ein Veto gegen das konservative Establishment war. Intellektuelle und Künstler haben ihn unterstützt, daß hat einige Wähler beeinflußt. Und er war lange nicht an der Macht, für die Leute war er deshalb irgendwie unschuldig.

Wenn Sie am Wahltag im Iran gewesen wären, hätten Sie Chatemi gewählt?

Als ich hörte, daß Chatemi kandidierte, wollte ich einen Artikel schreiben, um ihn zu unterstützen. Aber meine Frau hat mir gesagt: Deine Unterstützung würde seinen Gegnern einen Anlaß bieten, um Chatemi anzugreifen. Das wäre wie ein Gnadenschuß. Für mich war es eine Wahl zwischen schlecht und schlechter. Mit Nateq Nuri als Präsident hätten wir überhaupt keine Hoffnung gehabt. Veränderungen im Iran müssen schrittweise passieren. Ich habe Angst vor einer Revolution und Chaos. Wenn es Chatemi schafft, nur ein bißchen zu verändern, würde ich ihn erfolgreich nennen. Wenn er sich aber so anpaßt wie Rafsandschani, ist er ein Versager.

Glauben Sie, daß Chatemi ihrem inhaftierten Kollegen Faradsch Sarkuhi helfen wird?

Die Leute, die Sarkuhi festhalten, denken anders als ich. Deshalb kann ich nicht vorhersagen, was sie tun werden. Meine Erfahrung mit ihnen ist: Sie sind unberechenbar. Es besteht eine Chance, daß sie ihn freilassen. Aber ebenso ist möglich, daß sie ihn für lange Zeit einsperren, vielleicht sogar hinrichten.

Sie benutzen ihre eigene Auslegung der Religion, um ihr Handeln zu rechtfertigen. Im schiitischen Islam können verschiedene Ajatollahs die Religion unterschiedlich auslegen. Nach der Revolution hat Chomeini beispielsweise das Schachspielen verboten. Angeblich war es unislamisch. Schon der Besitz eines Schachbretts war strafbar. Heute ist Schach wieder erlaubt. Durch die unterschiedlichen Auslegungen des Islam entstehen manchmal Freiräume, in denen wir leben können.

Können Sie sich vorstellen, daß ein iranischer Ajatollah mit einer anderen Auffassung als Chomeini dessen Mordaufruf gegen Salman Rushdie für ungültig erklärt?

Ja. Es gibt Ajatollahs, die Chomeinis Fatwa für politisch motiviert halten. Aber sie dürfen das derzeit nicht laut aussprechen. Aber die meisten Ajatollahs haben die „Satanischen Verse“ nicht gelesen. Sonst wüßten sie, daß es weit lästerlichere Bücher gibt. Interview: Thomas Dreger