„Hirntod, Teiltod, Gesamttod – das ist Unsinn“

■ Jutta Vierneusel (51) lebt seit acht Jahren mit einer Spenderleber. Sie ist Vorsitzende der Selbsthilfegruppe für Lebertransplantierte in der Bundesrepublik

taz: Läuft der Fernseher?

Jutta Vierneusel: Selbstverständlich.

Mit welchen Hoffnungen beobachten Sie die Debatte?

Ich wünsche mir von ganzem Herzen, daß die erweiterte Zustimmungslösung verabschiedet wird. Die enge Zustimmungslösung wäre für unser Land eine Katastrophe. Bei mehr als 3.000 Organentnahmen im vergangenen Jahr gab es nur in 34 Fällen eine ausdrückliche Zustimmung des Spenders durch den Ausweis. Da sieht man, worauf es hinausliefe.

Worauf liefe es denn hinaus?

Ganz einfach: Es würde in Deutschland keine Organtransplantationen mehr geben, und Tausende würden jedes Jahr sterben, denen man gut helfen könnte.

Als Konsequenz würden die Organe dann eben noch stärker von ausländischen Spendern kommen.

Das geht nicht. Das finde ich moralisch unvertretbar. Da sträuben sich mir sämtliche Nackenhaare. Ich kann doch nicht von anderen Ländern erwarten, daß sie mir die Organe zur Verfügung stellen, die ich hier nicht bekomme.

Die Bewertung von Leben und Tod darf nicht durch Nützlichkeitserwägungen beeinträchtigt werden.

Das ist richtig. Auch ich bin gegen jeden Zwang und Druck. Aber die Menschen sollten einmal an ihre eigenen Bedürfnisse denken. Wenn ich höre, daß unser Justizminister von verschiedenen Todesformen redet, wenn er den Hirntod als Teiltod darstellt und dann vom Gesamttod redet, das ist doch Unsinn. Man muß doch akzeptieren, daß der Hirntod irreversibel ist. Das wird immer wieder so hingestellt, als wäre das ein Koma oder eine Bewußtlosigkeit. Aber die Menschen sind wirklich tot, sie werden nie wieder lebendig.

Die Befürworter der engen Lösung argumentieren, daß sich ein Hirntoter noch im Prozeß des Sterbens befindet?

Jeder hat dazu seine Meinung. Und es geht ja tatsächlich um Grenzbereiche des Lebens. Ich akzeptiere, wenn jemand das so sieht und die Spende für sich ablehnt. Aber ich akzeptiere den Egoismus nicht: Viele Leute lehnen eine Organspende ab, weil sie das als Eingriff in ihren Sterbevorgang empfinden. Dieselben Leute sind aber sofort bereit, ein Organ anzunehmen, wenn sie selbst krank werden oder eines ihrer Kinder. Dann haben sie plötzlich keine Probleme mehr. Das ist das Verlogene und Schizophrene. Wer bereit ist, ein Organ zu empfangen, sollte auch zur Spende bereit sein.

Warum haben gerade die Deutschen solche Probleme mit der Transplantation? Wir liegen bei der Spendenbereitschaft im internationalen Vergleich ganz hinten.

Weil man die positive Seite nicht sieht. Und natürlich sind die Leute auch nicht zur Spende bereit, weil sie sich nicht mit dem eigenen Tod auseinandersetzen.

Frau Vierneusel, wie geht es Ihnen mit der Leber?

Mir geht es sehr gut. Die Erfolge der Transplantation werden ja immer wieder in Frage gestellt. Gerade habe ich das im Bundestag wieder gehört. Ich muß wirklich einmal sagen, daß es mir gutgeht. Ich nehme am Leben teil. Ich fühle mich gesünder als viele, die noch ihre eigene Leber haben.

Dann stimmt der Satz, daß das Leben für Sie neu begonnen hat?

Es hat auch einen neuen Sinn bekommen: Mitmenschlichkeit, Solidarität, Einsatz für andere. Mir ist erst in den letzten Jahren klar geworden, wie sehr das in unserer Gesellschaft fehlt. Interview: Manfred Kriener