Der Klang der Urgewalten

■ Roof mit überwältigenden Soundeskapaden im Lagerhaus

Nicht weniger als eines der herausragenden Konzerte dieses Jahres erlebten die BesucherInnen am Mittwoch abend beim Auftakt der gestern beendeten Veranstaltung „Freispiel – Formen improvisierter Musik“der Initiative KIOTO im Lagerhaus. Wie in Klang transformierte Urgewalten tönte die Musik der vierköpfigen Band Roof in manchen Passagen.

Ungeheure Energien waren zu spüren. Im Wechsel von festgelegten Strukturen und Improvisation entfesselten Ausnahmevokalist Phil Minton, Cellist Tom Cora, Baßgitarrist Luc Ex und Schlagzeuger Michael Vatcher ein in Teilen geradezu atemberaubendes Konglomerat von Klängen, eine wilde Mischung von Hardcore, imaginärer Folklore, freier Improvisation und Experimentalrock.

Ganz entscheidend an der Faszination, der Emotionalität, die selbst in den krachigsten Momenten diese Musik auszeichnet, sind die einzigartigen vokalen Fähigkeiten Phil Mintons.

Was der Brite – eine unerschütterliche Größe der europäischen Improvisationsszene und ein abenteuerlustiger stilistischer Grenzgänger – an Geräuschen, Tönen und Klängen zu produzieren vermag, sucht seinesgleichen. Von Vogelzwitschern, Hundewinseln, Geigentönen, singender Säge, Kurzwellen-Radiosounds, Ächzen, Krächzen, Schnattern, Stöhnen, brummigen Baßlauten, kehligen Jodlern bis zu schmetternden Kantilenen, ja kurzzeitig aufblitzendem Operntenor, wenn er aus voller Kehle singt, ist alles zu hören.

Er scheint diese Laute aus sich herauszupressen, wenn er sich am Mikro windet, verrenkt und grimassiert, um im nächsten Moment ruhig, fast schüchtern da zu stehen und den Klängen seiner Mitspieler zu folgen.

Die schufen energetisch pulsierende Klangwelten, öffneten und schlossen Räume, mal krachend die Tür eintretend, mal geräuschig nach durchlässigen Ritzen suchend, dann wie mit einem Volkslied auf den Lippen, aber in Hardcore-Manier aus dem Fenster springend. Der zeitweise auf der Bühne herumspringende Luc Ex sorgte auf seiner halbakustischen Baßgitarre immer wieder für ostinate Muster, wenn er nicht gerade mit seinem Instrument ringend in noisige Gefilde abtauchte.

Während Tom Cora mit seinen melodischen Fragmenten, rhythmisch mit Ex korrespondierend, für das imaginäre Folklore-Element verantwortlich zeichnete oder ebenfalls sein Cello in quietschende, fiepende Noise-Bereiche trieb. Wohingegen Drummer Michael Vatcher eher als musikalisches Gegenüber von Minton fungierte denn als Rhythmuslieferer.

Zwar zeigte er sich einem straighten Beat nicht abgeneigt, trommelte aber ebenso gern in verzögerten Metren oder in polyrhythmischen Strukturen.

Zwischendrin schien er noch einmal anschaulich machen zu wollen, warum manche Leute das Drumset auch als ,Schießbude' bezeichnen. Er ließ seine Sticks mit einer Wucht auf die Toms knallen, daß empfindliche Naturen Herzrhythmusstörungen hätten bekommen können.

Das Publikum im nicht schlecht besuchten Lagerhaus reagierte en-thusiastisch auf diese wunderbar wilde Musik. Da war die fast anderthalbstündige Verspätung des Auftritts schnell vergessen. Was Roof an Klängen, Sounds und Energie unter einem Dach vereinten, entschädigte mehr als genug.

Arnaud