Das bißchen Rolle

■ Zum Auf-die-Schenkel-Klopfen: Das Schmalzstullen- Theater mit der Altberliner Posse "Mamsell Uebermuth"

Schon am letzten Wochenende wollte das Wetter partout nicht mitspielen. Einen lauen Sommerabend hätte man sich gewünscht für ein Biergartentheater im Freien, statt dessen goß es wie aus Kübeln. Was die gemütliche Atmosphäre im Innenhof der Kalkscheune aber nicht beeinträchtigte, im Gegenteil. Dicht gedrängt unter den nur dürftig vor den Sturzbächen schützenden Schirmen, das Bier in der einen, die Stulle in der anderen Hand, wartete man gespannt auf das angekündigte „theatralische Vergnügen“ des Berliner Schmalzstullen-Theaters.

„Schmalzstullentheater“ – so nannte der Berliner Mitte des letzten Jahrhunderts seine zahlreichen Sommer- und Gartentheater liebevoll. An der frischen Luft konnte er sich hier mit einer deftigen Mahlzeit und dem derben Charme volkstümlicher Schwänke von den Mühen des Alltags erholen. Die rund 50 Theater dieses Typs bildeten im damaligen Berlin einen wichtigen Bestandteil des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens. Am Sonntag oder Feierabend saß das kleinbürgerliche Publikum mit Strickzeug, Kind und Hund im Gartenlokal und konnte sich über sich selbst oder über die Herrschaft kaputtlachen, der es werktags zu gehorchen hatte. Kino gab es noch nicht, und klassische Stoffe waren bis 1865 dem Königlichen Schauspielhaus vorbehalten.

Die Verhältnisse, sie sind so nicht mehr, aber 1996 beschloß eine Gruppe von professionellen Schauspielern, diese Tradition trotzdem wiederaufleben zu lassen, und gründete das Berliner Schmalzstullen-Theater. Letztes Jahr wurde in einem Hofgarten in Mitte „Bei Buchholzens“ gegeben, jetzt geht es um „Mamsell Uebermuth“, eine Posse des Berliner Lustspieldichters Adolf Bahn von 1860. Die Verwechslungskomödie um eine heiratswütige reiche Witwe und ihre liebestolle Tochter macht sich über die Doppelmoral des Großbürgertums lustig, über Standesdünkel und Lüsternheit.

„Theater, das einfach unterhalten will“, möchte das Ensemble bieten und hat es auch mit diesem Stoff vor – ein Anspruch, der bescheiden klingt, aber durchaus nicht ohne ist. Der Regisseur Pierre Sanoussi-Bliss hat sich für eine Mischung aus grober Übertreibung und Comedy-Effekten entschieden. Mit spitzen Schreien, gezieltem Grimassieren und allerhand Gepolter lümmeln sich Madame (Katrin Schell) und ihre Bedienstete (Verena Gospadar) auf der Bühne, übertroffen nur noch vom stimmkräftigen und energisch hopsenden Töchterchen, besagter „Mamsell Uebermuth“ (Birgit Schneider). Auf handfeste Weise sind alle natürlich hinter den Männern her, die sich mit Leidenschaft in ihr bißchen Rolle ergeben. Mittelpunkt der Bühne ist ein robustes Sofa, auf und unter dem hingebungsvoll geknufft, geknutscht und gedroschen wird.

Das alles ploppt so rund und zufrieden vor sich und läßt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Sogar als bei der Premiere schließlich doch das Wetter die Regie übernahm, und sich genau in dem Moment, als die Damen erschöpft ins Sofa plumpsen, ein Riesenschwall Wasser von der Plane auf die Bühne ergoß (der größte Lacher dieses Abends), zog die ganze Inszenierung umstandslos ins Innere der Kalkscheune um. Theater eben, das entschlossen ist, sich auf die Schenkel zu schlagen, und zwar ununterbrochen.

Wobei das drastische Gebaren bisweilen tatsächlich die Lachmuskeln reizt, selbst wenn man bei den unbeholfenen Gesangseinlagen lieber nicht dabeigewesen wäre. Schwer hinnehmen allerdings läßt sich auf die Dauer, daß alle Figuren einfach im bunten Brei des Nonsense verschwinden. Genretheater ist das nämlich gerade nicht. Vielmehr besteht die ganze Inszenierung in dem Versuch, Adolf Bahns Stück zu vermeiden und statt dessen eine Art Otto-Komik zu erzielen. Was aber auch nicht so richtig gelingt. Mara Borchardt

Bis 24.8., Fr–So, 20.30 Uhr, Kalkscheune, Johannisstraße 2, Mitte