■ Mögliche Orte
: Der Bauernmarkt

Es reicht, wenn man als Verkäuferin um halb neun da ist. Das ist höchst ungewöhnlich und human, denn auf den anderen Wochenmärkten in Berlin muß man halb sieben auf der Matte stehen, bis viertel vor, allermaximalstens bis 7 ist Schonfrist, wer dann nicht vor seinem Stand oder an der Stelle, wo der Stand hin soll, Aufstellung genommen hat, guckt in die Röhre, was schlicht heißt, er bekommt keinen Stand mehr an diesem Tag und eine rüde Abmahnung. Vom Marktmeister für gewöhnlich, einem speziellen Menschenschlag, dessen Beruf dem eines Feldwebels gleicht.

Aber donnerstags am Wittenbergplatz ist das anders.

Junge Polen bauen die Stände auf, manche Händler haben auch ihren eigenen Stand dabei und sparen die 25 Mark, die die Budenbauer sonst kriegen. „Brandenburger Bauernmarkt“ nennt er sich anbiedernd, ein professioneller Markt, im Vergleich zu letztem Jahr, als er eingeführt wurde. Damals war alles eine Spur improvisierter, also viel schöner, aber unterm Strich bleibt, daß sich die Händler die Beine in den Bauch stehen und ihre Sachen verkaufen wollen, ich in meiner donnerstäglichen Funktion als Spargelfachverkäuferin mit jetzt auch Erdbeeren im Angebot genauso wie die Blumenfrau, der Biobäcker oder olle Gurken-Bucki (Leitmotiv: „Alles gestohlene Ware, da kann niemand vorbeiflitzen!“).

Letztes Jahr gab es beispielsweise einen enorm sympathieträchtigen Metzgermeister, der jede Woche sowohl sich selbst als auch seinen abenteuerlichen Trabant Transport mit großem Geächze und unter Anteilnahme aller anderen Marketender auf den Platz wuchtete. War dieser Kraftakt vollbracht, weiß der Kuckuck aus welchem Kaff er sich im Morgengrauen auf die Reise in die Hauptstadt begeben hatte, verschwand er den Rest des Tages mild lächelnd hinter seinen eigenwillig zurechtgerichteten Paletten mit Blut- und Leberwurstkonserven. Kurz, er verkaufte so gut wie nichts, wahrscheinlich hat er nicht mal die Standgebühr (ca. DM 63,83) reingeholt.

Er ist dieses Jahr nicht mehr gekommen, aber es sollte doch erlaubt sein, sich wehmütig an ihn zu erinnern, und sei dies auch sentimental, zumal sein Platz von einem überaus unangenehmen Zeitgenossen eingenommen wurde. Seines Zeichens auch Wursthändler, aber durchtrieben, professionell und immerhin so erfolgreich, daß er es sich vom Erlös seiner Teewurst in Brasilien, Thailand etc. gutgehen lassen kann („Aber gepflegt müssen sie schon sein, die Mäuschen“).

Der reguläre Verkauf beginnt um halb zehn, auch dies ist ein großer Vorteil gegenüber den normalen Wochenmärkten, und er hört nicht mittags auf, sondern geht durch bis 19 Uhr. Das ist gut für uns alle. Es entzerrt den Verkaufsdruck und läßt mitunter entspannte Plauderatmosphäre aufkommen. Der Biobäcker von nebenan erzählt dann gerne von Freiheit und raucht dazu einen 1a Biograsjoint, wir natürlich mit. Gelegentlich erschallt sein Schlachtruf: „Lecker, lecker, frisch vom Biobäcker!“, worauf die Damen, die bei uns gerade Spargel ordern („Bitte 20 schöne gleichmäßige Stangen, nein die nicht, lieber die“) in der Regel indigniert zusammenzukken, aber ein bißchen Marktschreierei beschwingt und gehört dazu.

Denn erwähnter Gurken- Bucki, der seinen Stand gegenüber dem unsrigen hat, verkauft nebenher auch Saisonware, im Moment also Spargel und Erdbeeren, und wenn wir nicht dagegenhalten, brüllt der unseren Stand in die Unsichtbarkeit und wir verkaufen keine einzige Erdbeere. Trotz aller Kotzbrokkigkeit ist Gurken-Bucki eine der Seelen des Marktes. Seine „echt deutschen Spreewälder Gurken“ sowie seine Aussetzer – neulich blaffte er eine Bettlerin mit mehreren Kindern im Schlepptau an, er würde auch kein Geld dafür kriegen, wenn er zu Hause bumst – fehlen einem, wenn er sich zwischendurch in seinem Laster aufs Ohr legt und seinem Gehilfen, der eigentlich ein österreichischer Eishockeytrainer ist, den Verkauf überläßt.

Der äthiopische Muffinverkäufer wackelt bei soviel Unzivilisiertheit manchmal stirnrunzelnd mit dem Kopf, ist aber ansonsten unerschütterlich gutgelaunt und spendiert hin und wieder einen Brownie. „Ist ja echt multikulti“, mag sich der ein oder andere freuen. Weit gefehlt. Die Muffins haben einen brandenburgischen Produktionsstandort, nur das berechtigt zu einem Stand auf dem begehrten Markt. Menscheln kann sich hier keiner leisten. Katrin Schings