Die schönen Bilder beim Trabrennen

Der Sozialforscher tarnt sich am liebsten als Fremder. „Es ist schön, von einer Sache gar nichts zu verstehen“, verkündete Siegfried Kracauer anläßlich eines Feuilletons über die Trabrennbahn Mariendorf Ende der 20er Jahre. „Man versteht sie dann unter Umständen viel besser.“ Solch naiver Blick ist nicht jedem vergönnt. Zweimal pro Woche, rund 90mal pro Jahr, suche ich jenen obskuren Ort auf, den der Jugendstilarchitekt August Endell – der noch heute für die Gestaltung der Hackeschen Höfe gelobt wird – 1913 im Auftrag des Kunsthändlers und Pferdezüchters Bruno Cassirer in die Ödnis von Tempelhof gepflanzt hatte. Wer wollte da gegen Kracauer sagen, er verstehe den Ort? Die „schönen Bilder beim Trabrennen“ (so ein Buchtitel des österreichischen Schriftstellers Gerhard Roth) müssen dem regelmäßigen Wettgänger verborgen bleiben. Überall nur Monitore, auf denen Zahlenkolonnen Gewinnchancen suggerieren. Jörg Fauser, Krimi-Autor und ausgemachter Zocker, versuchte der schönen Bilder seinerzeit früh morgens bei der Trainingsarbeit angesichtig zu werden. Das klappte bei den ersten Versuchen auch recht gut, aber dann saß auch Fauser wieder an den Spieltischen des Stall-Casinos, wo bis in den Nachmittag hin „geklammert“ wurde, gleichgültig, ob es draußen schöne Bilder zu sehen gab oder nicht.

Die Weltmeisterschaft der Trabrennfahrer, die am Mittwoch hier Station machte, gab dann doch wieder den Kracauerschen Blick frei. Fahnen, Hymnen, Fans mit Räppelchen und ungelenkte Funktionäre, die angestrengt um schöne Worte und Feierlichkeit ringen, fast wie im richtigen Fernsehen. Kracauer zeigte sich schon damals erstaunt, was hier so alles stattfindet, ehe die Pferde losgehen, die dann nichts Eiligeres zutun haben, als ans Ziel zu kommen. Jede Menge schöne Bilder. Am Sonntag dann wieder alles wie gehabt. „Hundert Sieg uff Chryoso“. Manche verfolgen die Rennen gleich am Monitor.hn

Foto: Margot Kornhaas