Durchs Dröhnland
: Neueste Musik der Welt

■ Die besten und schlechtesten Konzerte der Woche

Ähnlich wie Heavy Metal ist Dark Wave in den Medien eher unterrepräsentiert. Das hat seine Gründe, insbesondere den, daß in dieser Musik seit 15 Jahren nicht unbedingt Weltbewegendes passiert. Um so erstaunlicher, daß Bands wie Deine Lakeien oder Projekt Pitchfork massenweise Platten verkaufen und sich auch jährliche Gruft-Treffen wie auf der Kölner Domplatte oder in Dresden nicht über mangelnden Zulauf beklagen können. Dort sportet man unermüdlich Schwärze, Blässe oder Weltuntergangsstimmung, und gleiches dürfte heute abend in der Arena passieren. Die Gemeinde lädt zum „Dancing in the Dark“, wartet aber auch mit ein paar Acts auf, die dem obigen Vorurteil vom musikalischen Stillstand nicht ganz entsprechen. Grenzen überschreiten heißt es, und nicht nur Nachtwächter und Eisbären müssen da weinen. Da ist vor allem Anne Clark als Headlinerin. Diese Dame hatte in den frühen Achtzigern mit „Sleeper in Metropolis“ einen Hit, für den man nicht unbedingt ein Gruftie sein mußte, um ihn zu mögen. Doch mit „Our Darkness“ ließ sie sich dann zumindest inhaltlich bestens als „Fürstin der Finsternis“ (tip) vereinnahmen. Aber damals komponierte sie auch Songs, die mehr Lesung als Musik waren: intim, sperrig und sicher kein Futter für die Massen. Mittlerweile wird sie von Techno-Leuten geschätzt und remixt, und damit da keine falschen Hoffnungen keimen, vertont sie demnächst Gedichte von Rainer Maria Rilke. Und dazu wollen die Arme erst mal gerudert werden. Auch Das Holz sind keine traurigen Synthie- Popper. Sie verzichten auf Gesang und instrumentieren ihre Songs nur mit zwei Geigen und einem Schlagzeug. Ihre Stücke nennen sie „Max“, „Sebastian“ oder „Kurt“. Wer bei letzterem an Cobain denkt, kommt schon mal auf den Gedanken, daß Grunge und Geigen gut zusammen passen. Oder, wie einer der Holz-Musiker seine Musik versteht, daß auch „Pop in eine andere Bedeutung übersetzt werden kann“. Wie auch immer. Ebenfalls im Schwermut Forest: Deine Lakaien, Armageddon Dildos, Distain, Qntal.

Heute, ab 19 Uhr, Arena, Eichenstraße 4

Auch wenn Drum & Bass mittlerweile ein paar Stars hervorgebracht hat, die sich als solche auch mehr oder weniger verkaufen lassen: Für den Durchschnittskonsumenten sind die Labelkompilationen das Maß aller Dinge, und wenn, wie neulich, die No-U- Turn-Leute im Icon hinter den Plattentellern stehen, ist es den meisten herzlich egal, ob da nun gerade Nico, Fierco oder Trace ihren Set spielen. V Recordings ist ein Londoner Label, das schon in den Anfängen von Drum & Bass seine Fühler auch nach Bristol ausgestreckt hatte: Roni Size, DJ Krust und DJ Die fanden hier ihre Hauptstadtspielwiese. Der Mastermind hinter V Recordings ist Bryan Goe, und der läßt auf seinem Labelsampler „V-Classics“ seine Schäfchen ihre Beats mal fett, mal schlank, mal dicht und mal transparent rollen: Klassiker des Genres, in der Tat, entweder neu oder geremixt. Geilste und neueste Musik der Welt, selbst wenn sich Stimmen mehren, sie allein deswegen Scheiße zu finden, weil sie fast ausschließlich von Jungs (für Jungs?) produziert wird. Darüber wird noch zu reden sein, um es mal mit der Spex zu sagen. Zuerst aber darf man prüfen, ob Bryan Goe auch als Live-DJ ein Meister seines Fachs ist.

Heute abend, ab 23 Uhr im WTF, Holzmarktstraße 11

Großes vor haben Delicate: Keine profanen Konzerte sollen ihre Auftritte sein, „vielmehr eine Reise in die Klangwelt des 21. Jahrhunderts“. Das glauben auch alle Jungelisten und Triphopper, und um so inflationärer man sich in der Zukunft wähnt, um so verdächtiger wird es. Noch schlimmer aber ist, daß man sich bei Delicate auf den „Schwingen des Grooves selber finden will“. Da liegen sie doch arg schwer auf den Sofas, die die Psychowelt bedeuten, und sind Karin Struck und ihren Ich-habe-gestern-auf- dem-Klo-gesessen-Bekenntnisbüchern näher als dem nächsten Jahrtausend. Wenigstens ihre Musik unterhält: eine Mischung aus Jazzkantine, Reality Brothers und Digable Planets, aus Jazz, HipHop und Soul im Big-Band- Gewand. Da vergißt man den ganzen Info-Selbstdarstellungs- Schmu, wippt mit den Füßen und groovt auch gern mal seinen Partner an.

28.6., 22.30 Uhr, Franz-Club, Schönhauser Allee 36–39

Früher galten sie als beinharte Folkrocker in der Grunge-City Seattle: Die Walkabouts. Entsprachen Chris Eckman und Carla Torgerson rein äußerlich schon den guten alten Ur-Hippies (wie viele Grunge-Rocker ja auch, allerdings mit dem Präfix Neo); so waren auch ihre Platten lichtdurchflutete Flower-Power- Momente im Heavy-Gitarrenmeer. Irgendwie fand man sie jedoch schnell penetrant und furchtbar notorisch: Vielleicht wegen ihrer Dauerpräsenz hier in der Stadt, vielleicht auch wegen den prägnanten Stimmen von Torgerson und Eckman; Stimmen, die sich durch kein noch so lautes Gitarrenriff übertönen lassen und die man schnell über hat. (Warum, ist ein Rätsel.)

Das 91-Album „Scavenger“ war ihr erster Erfolg, enthielt aber eine Runde zu viel Schmalz und Schönheit. Mit „New West Motel“ knallten sie dann noch ein richtiges Brett an die Wand, das letzte Aufbegehren vor einem Versacken in den totalen Folk- Pop-Glibber. Für höhere Aufgaben empfahlen sie sich später mit Gospelchören und dem Ausgraben alter CwW- und Folkhelden. Nur allzu logisch, daß auf ihrem neuen Album „Nighttown“ ein ganzes Orchester, wie Eckman sagt, „einfach an die Rocksongs angekoppelt“ wurde. Das aber klingt nett, gar nicht überladen, und, na klar, die Hauptrollen spielen nach wie vor die beiden Masterminds. Trotzdem: Eine ordinäre Rockbühne reicht nicht mehr, mitsamt Orchester musizieren die Walkabouts im SFB- Sendesaal.

29.6., 20 Uhr, Großer Sendesaal des SFB; Masurenallee 8–14 Gerrit Bartels