■ Felipe González' Rückzug erleichtert den Sozialisten die Oppositionsarbeit und öffnet die Tür für Erneuerungen
: Spaniens Linke – allein zu Hause

Die Überraschung war gelungen. „Ich werde nicht mehr zum Generalsekretär kandidieren“, sprach Felipe González und trat ab, nicht ohne vorher den Delegierten des 34. Parteitages der Sozialistischen Spanischen Arbeiterpartei (PSOE) sein politisches Erbe mit auf den Weg zu geben. Sie sollen verwirklichen, was er selbst immer ausschloß: eine Öffnung des sozialistischen Projektes nach links, um so die verlorenen Illusionen und mit ihr die politische Hegemonie und Macht im Lande zurückzuerobern. Dies sei nur nach einer Erneuerung der Partei möglich, begründete der Mann, der 23 Jahre der PSOE vorgestanden und für sie 14 Jahre die Regierung innehatte, seinen Rückzug.

Die verblüfften Sozialisten machten sich ans Werk und suchten den dafür geeigneten Generalsekretär. Nach nächtelangen Sitzungen hieß die neue Nummer eins schließlich Joaquin Almunia (49), zuletzt Sprecher der PSOE-Parlamentsfraktion. Kaum gewählt, lud er das kommunistische Wahlbündnis Vereinigte Linke (IU) ein, „gemeinsame Sache gegen die Regierung von José Maria Aznar zu machen“. „Wenn wir das nicht schaffen, werden wir weiterhin mit verschränkten Armen zuschauen müssen, wie die Rechte regiert“, beschwor Almunia die Genossen, ihm auf diesem Weg zu folgen.

Felipe González' Rückzug ist in zweifacher Hinsicht ein geschickter Schachzug. Er erleichtert den Sozialisten die Oppositionsarbeit, ohne ständig von der Regierung der Volkspartei (PP) von José Maria Aznar wegen der zurückliegenden Korruptionsskandale und wegen des schmutzigen Krieges der Antiterroristischen Befreiungsgruppen in den 80er Jahren angegriffen zu werden. Zum anderen isolierte González auf diese Art den linken Parteiflügel um den bisherigen stellvertretenden Generalsekretär, Alfonso Guerra.

Anstatt wie vorgesehen für seinen Verbleib und den seiner Anhänger im Vorstand zu streiten, blieb Guerra nach dem überraschenden Abtritt von González keine andere Wahl, als ebenfalls den Hut zu nehmen. Die Guerristas, die für eine zentral aufgebaute Partei eintreten, die mit eiserner Hand von Madrid aus die Untergliederungen und damit die Regionalvorsitzenden kontrolliert, sind mit nur noch einer Stimme im Vorstand zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Davon profitieren in erster Linie die regionalen Parteivorsitzenden, die fast alle, wie Joaquin Almunia auch, den gemäßigt sozialdemokratischen Renovadores (Erneuerern) angehören, auf die González – seit er sich Anfang der 90er mit Guerra überworfen hatte – seine innerparteiliche Macht stützte. Ein Sieg, der jetzt, wo es um die Öffnung nach links geht, Almunia nicht nur nützen dürfte. Waren es doch gerade die Regionalgrößen, die nach dem Verlust der absoluten Mehrheit der PSOE 1993 González in seiner Ablehnung gegen ein von den Guerristas vorgeschlagenes Linksbündnis unterstützten.

Almunia hätte die Regionalfürsten gerne an den Rand gedrängt, und sich für die vor ihm liegende Etappe der Erneuerung einen kleinen, effektiven aus Vertretern der Parlamentsfraktion zusammengesetzten Parteivorstand gewünscht. Einem tragfähigen Kompromiß zuliebe war das unmöglich. Das ausgehandelte 33köpfige Leitungsgremium ist, zumindest was die entscheidenden Ämter angeht, eine Ansammlung alter Gesichter, die insgesamt 123 Jahre Regierungstätigkeit in Madrid oder einer der 17 Regionen auf sich vereinigen.

Noch nach dem Wahlsieg Jospins in Frankreich hatte der Chefkoordinator der Vereinigten Linken (IU), Julio Anguita, die PSOE wegen ihrer unflexiblen Haltung kritisiert. Jetzt, wo er zu Gesprächen geladen ist, kommt ihm der plötzliche Schwenk der Sozialisten ebenso ungelegen wie Regierungschef Aznar. Beide haben mit González ihren Lieblingsgegner verloren und damit die Grundlage ihrer Politik, die darin bestand, den ehemaligen Regierungschef wegen der unzähligen Skandale gemeinsam von links und rechts in die Zange zu nehmen. Die politische Nähe, wenn es gegen González ging, hatte nicht nur in der Opposition Bestand, sondern auch noch nach dem Regierungswechsel 1996. Immer wenn dem Minderheitskabinett von Aznar die Unterstützung der katalanischen Nationalisten von Convergència i Unió (CiU) fehlt, hilft ihm Anguitas IU mit Enthaltung oder gar mit Zustimmung aus der Patsche.

Wie weit die stillschweigende Übereinstimmung zwischen Aznar und Anguita geht, deckte erst kürzlich die Tageszeitung El Pais auf. Der orthodoxe Flügel von IU hatte im Frühjahr mit der Volkspartei (PP) regelrechte Verhandlungen geführt, um eine etwaige gemeinsame Regierungsstrategie für den Fall auszuarbeiten, daß CiU, wie mehrfach angedroht, Aznar endgültig fallen läßt.

Wer gegen diese Politik protestiert oder gar wie die Abgeordneten der Demokratischen Partei Neue Linke (PDNI), dem IU-Minderheitsflügel, die Fraktionsdisziplin in Frage stellt, muß mit innerparteilichen Strafen rechnen. Trotzdem setzten sich Anguitas Kritiker in immer mehr Regionen durch. In Katalonien, wo seit Monaten immer wieder von einer gemeinsamen Kandidatur aller fortschrittlichen Kräfte die Rede ist, um den Landesvater und Aznar- Unterstützter Jordi Pujol (CiU) zu bezwingen. Oder in Galicien, wo die Regionalgliederungen von PSOE und IU nach französischem Vorbild beschlossen haben, bei den Regionalwahlen im Dezember mit einem gemeinsamen Programm anzutreten. Ein Sieg würde Auswirkungen auf die nationale Politik haben. Das weiß Almunia, dessen Sozialisten das galicische Bündnis von Madrid aus unterstützen, und das weiß auch Anguita, der den Abtrünnigen von der reinen Lehre alle Geldhähne abgedreht hat.

Ein Zusammengehen der Linken hängt wesentlich davon ab, ob es der PDNI gelingt, sich gegen Anguita durchzusetzen. Für die IU-Erneuerer um die Abgeordnete Cristina Almeida ist dies auch eine Überlebensfrage. Auf sich allein gestellt liefe die PDNI Gefahr, zwischen IU und PSOE aufgerieben oder gar ganz einfach von den Sozialisten aufgesogen zu werden. Auch eine solche Entwicklung käme der PSOE gelegen. Die Vereinigte Linke würde dann auf das Stimmenpotential der KP von höchstens vier Prozent zusammenschrumpfen. Gelänge es den Sozialisten, die bei den letzten Wahlen nur knapp 300.000 Stimmen hinter den Konservativen lagen, nur einen Teil der verbleibenden sechs Prozent auf sich zu vereinigen, hätten sie erneut Aussichten, die Regierung zu stellen. Reiner Wandler