Von „Homosexuellen und Lesben“

■ Mit dem Thema Homosexualität tun sich die deutschen Schulbücher auch 19 Jahre nach Einführung der Sexualerziehung noch schwer / Von der Abnormität zum Risikoverhalten

Seit 1968 darf man an deutschen Schulen offiziell über Homosexualität sprechen. Was aber hat sich konkret geändert? Und welche Rolle spielen dabei die Schulbücher? Die Erziehungswissenschaftlerin Renate-Berenike Schmidt hat zum Thema „Homosexualität in Biologiebüchern“veröffentlicht und mit Bremer Schülern Interviews zur Sexualerziehung im Zeitalter von Aids geführt. An der Bremer Uni unterrichtet sie künftige Lehrer in „Sexualpädagogik“.

taz: Würden Sie meine Erfahrung bestätigen, daß Jugendliche in der Schule ein äußerst konservatives Sexualverhalten an den Tag legen?

Renate-Berenike Schmidt: So hart würde ich das nicht formulieren. Sie eifern Stereotypen nach. Das halten wir dann oft für konservativ. In unseren Interviews mit den Bremer SchülerInnen vertraten die Mädchen oft eine ziemlich freizügige Meinung. Das hing aber auch damit zusammen, daß Homosexualität oft mit Schwulsein gleichgesetzt wird. Lesbischsein wird da nicht mitgedacht. Einfach, weil Schwule präsenter sind.

Und welche Rolle spielen die Schulbücher?

Bis 1985 war Homosexualität in jedem zweiten Biologie-Buch tabu. In anderen Büchern wurde das Thema nur mit einem Satz erwähnt. Tenor: Neben dem 'normalen' geschlechtlichen Verhalten gibt es auch ein Verhalten, das gleichgeschlechtlich ist. Und das in Büchern für Altersgruppen, in denen man sich recht klar darüber ist, ob man selber schwul, lesbisch oder hetero ist. Mit Sätzen wie 'Das kommt in der Jugend vor, gibt sich aber wieder' hilft man denen kaum weiter. Nur wenige Verlage gingen immerhin so weit, daß sie auch die rechtliche Situation darstellten oder Diskriminierungen ansprachen. Problematisch wurde es oft, wenn sich die Biologie-Bücher mit den Ursachen der Homosexualität beschäftigten. Da wurden dann von 'angeboren' bis 'erworben' die verschiedensten Theorien durchgespielt.

Diese Verstrickung in Erklärungsmuster ist im Kontext des Bio-Unterrichts wahrscheinlich kaum zu vermeiden?

Deshalb sollte der Sexualunterricht ja auch fächerübergreifend erteilt werden: In Biologie, Sozialkunde, Religion, Deutsch, Haushaltslehre, usw. Diese Bestimmung gilt seit 1968 und gilt noch heute. Tatsächlich aber ist es so, daß immer noch 70 bis 80 Prozent der Sexualerziehung im Biologie-Unterricht abgehandelt wird. Sozialkunde-LehrerInnen, die das Thema spannend finden, müssen sich nach anderen Materialien umgucken.

Wollen das die Lehrer?

Die Lehrer, mit denen ich sprechen konnte, schon. Aber die hatten ja auch nichts zu verbergen. Wenn man die Schüler und SchülerInnen fragt, dann hatten die oft nur ihre biologische Sexualerziehung erhalten.

Vielleicht könnte man nochmal den Faden der Chronologie zu Ende führen. Sie sagten, bis 1985 war das Thema Homosexualität in der Hälfte der Bio-Bücher tabu. Was ist denn dann passiert?

1985 gab es eine Empfehlung der Kultusminister: Das Thema Aids solle in der Schule behandelt werden. Das ist dann auch passiert. Seitdem kommt Homosexualität in sehr vielen der Schulbücher nur noch im Kontext „Aids“vor. Männliche Homosexuelle werden zur Risikogruppe erklärt und gleichgeschlechtliche Sexualität wird mit Tod assoziiert.

Wenn Homosexualität in den Schulbüchern zur Zeit nur als Risiko oder Abnormität erscheint, könnten Sie sich dann ein Zukunftsprojekt vorstellen, in dem das Thema „Homosexualität“zum Knackpunkt wird, um die Biologie- und Sozialkunde-Bücher zu reformieren?

Vielleicht brauchen wir soweit gar nicht zu gehen. Der Vorteil an der derzeitigen Situation ist, daß die Lehrer einen relativ großen Spielraum für zusätzliche Unterrichtsmaterialien haben. Die sollten erweitert werden. Im niedersächsischen Kultusministerium sind zum Beispiel Unterrichtsmaterialien speziell für schwule Lehrer und lesbische Lehrerinnen erstellt worden. Nur sind die oft noch halbherzig: In einer der Broschüre wurde dem Verfasser beispielsweise das Wort „schwul“durchgängig gestrichen und durch „homosexuell“ersetzt: Da ist jetzt immer von „Homosexuellen und Lesben“die Rede. ritz