Auf ein langes Leben mit Aids

■ Unter HIV-Positiven und Aidskranken macht sich Optimismus breit. Die Krankheit muß nicht mehr tödlich sein. Jetzt heißt es für viele, wieder Leben zu lernen.

Beim ersten wußte Dr. Holzhüter gar nicht, was er hat. Beim zweiten hatte der Spiegel zwar keine Aufklärung geleistet, aber eine Titelgeschichte über die „Seuche Aids“verfaßt. „Der Mann saß todkrank in seiner Wohnung, übersäat mit Caposi-Merkmalen. Die Nachbarn haben ihm die Milch vor die Tür gestellt. Ich war nach Monaten der erste, der ihn angefaßt hat.“Damals begann der Internist und Hämatologe, sich für Aids-Patienten einzusetzen.

Heute blickt Hermann Holzhüter auf eine 14jährige Erfahrung zurück. Seit einem Jahr verschreibt er in seiner Praxis am Dobben an HIV-Positive und Aids-Kranke eine Kombination aus mehreren Medikamenten - jene „Kombinationstherapie“, die bei der Welt-Aids-Konferenz in Vancouver 1996 sämtliche Experten entweder staunen oder zweifeln ließ.

Doch angesichts der Erfolge lassen die Zweifel nach. Auch in Bremen hoffen 300 Aidskranke seit ein paar Monaten wieder - auf all das, wovon sie glaubten, es sei für alle Zeiten verloren. „Wir haben schon Leute gesehen, die nach Monaten auf der Pflegestation aufgestanden und nach Hause gegangen sind“, erzählt Arno Oevermann, Sozialarbeiter im Schwulen- und Lesbenzentrum „Rat &Tat“. „Wir stehen an einem Wendepunkt.“

Nach mehr als einem Jahrzehnt Leid und Trauer, die weite Teile der Schwulenbewegung erfaßten, „blicken die Positiven vielleicht wieder auf ein langes Leben.“Auch die Zahlen sprechen für sich: Starben 1995 noch 16 Rat&Tat-Klienten an Aids, waren es 1996 sechs, in diesem Jahr bisher drei.

Als „ganz entscheidenden Durchbruch“wertet auch Holzhüter die Entwicklung der Therapie. „Allen, die nicht im Endstadium sind, geht es klinisch besser,“beobachtet er. Bei einigen seiner Patienten sei die Virusmenge im Blut unter die Nachweisgrenze gesunken. Wegen der möglichen Resistenzentwicklung gegen die Präparate will Holzhüter keine abschließende Aussage treffen. Vorsichtig wählt er seine Worte: „Ich glaube, daß wir auf dem Weg sind, die Krankheit soweit in den Griff zu bekommen, daß die Viren sich nicht mehr vermehren.“

Besonders gut sind die Aussichten, wenn möglichst früh mit der Therapie begonnen wird. Außerdem, so Holzhüter, verlange die Therapie eine enorme Disziplin - was es wiederum unmöglich mache, sie bei Junkies anzuwenden.

gestellt. Ich war nach Monaten der erste, der ihn angefaßt hat.“Damals begann der Internist und Hämatologe, sich für Aids-Patienten einzusetzen. Heute blickt Hermann Holzhüter auf eine 14jährigeErfahr

eine enorme Disziplin - was es wiederum unmöglich mache, sie bei Junkies anzuwenden.

Die HIV-Positiven und Kranken, die sich der massiven Medikamentenkur unterziehen, nachdem sie zum Teil jahrelang mit einem Todesurteil gelebt haben, können es oft noch gar nicht fassen. „Die Perspektive sprengt für viele erstmal alles“, sagt Oevermann. „Viele haben schon vor Jahren aufgehört zu arbeiten, haben sich ihre Guthaben auszahlen lassen und ihr restliches Geld ausgegeben. Es war so klar, daß ihnen nicht viel Zeit bleibt.“

Über all das muß jetzt nachgedacht werden: Wie integriert man Positive wieder in den Ar- beitsmarkt, wie sieht eine hohe Lebenserwartung mit der Erkrankung aus? Was bedeutet es für die Prävention? Mit der Auflösung der Gleichung „Aids gleich Tod“wird möglicherweise auch die Gleichung „Kondome gleich Schutz“durchlässig.

Ende August findet die diesjährige Bundespositiven-versammlung in Bremen statt. „Leben wieder lernen“steht dort ebenso auf dem Plan wie „Aids und Armut“. Und vielleicht auch ein Gedanke daran, daß die medizinischen Erfolge für den Westen ein Durchbruch sind, für die große Gruppe Aidskranker in Afrika und Asien aber nie finanzierbar sein werden: Die Behandlung kostet 2.000 Mark im Monat. jago