■ Vorschlag
: Kluft zwischen Körper und Symbol - Ballettabend an der Deutschen Oper

Vorschlag

Kluft zwischen Körper und Symbol – Ballettabend an der Deutschen Oper

Die Gegenwart ist eine flüchtige Maske im undurchschaubaren Spiel der Götter. Das Brodeln untergründiger Kräfte, das viele südamerikanische Romane durchzieht, ist auch in den Entwürfen der drei brasilianischen Choreographen zu spüren, die Richard Cragun an die Ballettcompagnie der Deutschen Oper eingeladen hat. Sein Ziel einer Modernisierung erreicht er damit nur halb. Obwohl die Bewegungen aus klassischen Mustern ausbrechen, so stülpen doch das Pathos der Musik und eine himmelstürmende Gestik dem Tanz eine bedeutungsvolle Hülle über. „Credo“, das Motto des Abends, schwebt wie eine Sprechblase über den drei Uraufführungen.

Zwar nutzt das Opernhaus das Brasilien-Klischee Samba und Karneval als Werbekonzept, bedient es aber nicht weiter. Statt dessen öffnet sich in Roberto de Oliveiras „Awakening“ (Musik: Alfred Schnittke) ein mythisches Zwischenreich, in dem helle Götterboten den Menschen ihren rätselhaften Weg weisen. Auf drei Seiten wird die Bühne von Kostümen eingefaßt, die in ihrer Farbigkeit für die Wahlmöglichkeiten der Menschen stehen. Die aber lockt unwiderstehlich das Unbekannte, die leere vierte Seite über dem Orchestergraben. Spätestens nachdem einer in diese Grube gestürzt ist, entschlüsseln sich die Kämpfe der anderen als existentielle Entscheidungen. Die kurzen Zusammenbrüche mitten in den weiten Sprüngen und Drehungen beschleunigen den Tanz nicht nur, sondern legen auch eine Spur von Gefährdung und Zerissenheit, die ganz aus dem Körper kommt.

Leider nimmt der Hang zum Mysterienspiel in „Uma Outra Luz“ von Antonio Gomes noch zu. Schon in die Toncollage des Komponisten Arvo Pärt sind ergreifende Klänge gemischt. Ein Dreieck, das wie das Auge Gottes über der Bühne schwebt, zwingt dem vielfach gebrochenen und verschobenen Tanz einen ritualisierenden Charakter auf. Frei davon ist nur Rodrigo Pederneiras „Alluvium“. Quicklebendig visualisiert er die Strukturen in der Musik der Percussion-Gruppe Uakti, bei der endlich auch südamerikanische Rhythmen mitschwingen. Das Premierenpublikum freute sich über dieses leichte Schlußgeschenk; aber zur Zeit gleicht der Applaus bei Ballettabenden an Opernhäusern ohnehin mehr lokalen Manifestationen für ihren Erhalt, solange das Gespenst der Einsparung einer Compagnie durch die Stadt geistert. Katrin Bettina Müller

heute, Deutsche Oper, Bismarckstraße 35, Charlottenburg

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