Das Bild oder die Ratlosigkeit des Überlebenden

Die Fotografie hat vom Fernsehen gelernt. Spätestens seit den Live-Übertragungen des Golfkriegs auf CNN ist man mißtrauisch gegenüber der Unmittelbarkeit der Bilder geworden. Wirklichkeit hängt auch von der Frage des Kontexts ab, der erst die Darstellung ermöglicht: Die Nähe zum Gegenstand ist immer auch eine Nähe der Kamera.

Zwar werden in der Reportagefotografie Krieg, Vertreibung und Flucht mit dem Schicksal einzelner Individuen belegt, zugleich soll sich in den Bildern der Konflikt widerspiegeln, den die Gesellschaft im einzelnen durchläuft. Nur so lassen sich Zusammenhänge sichtbar machen, die über die Abfolge von Bürgerkriegen und Migrationsbewegungen hinaus reichen. Die Hamburger Agentur Signum weiß um diesen schmalen Grad zwischen distanzierter Abbildung und emotionaler Inszenierung: „Selbstzweifel, die Bedeutung und den Einfluß dessen betreffend, was man fotografiert, gehören zu den wiederkehrenden Alpträumen jedes Fotografen, der Konfliktsituationen darstellen will“, schreibt Mark Sealy im Nachwort des in der Edition Stemmle erschienenen Katalogs „Flucht“, der die gleichnamige Ausstellung begleitet (bis 3. August, Fotografieforum Frankfurt; bis Ende August, UNHCR Visitor-Center, Genf; der Katalog mit einem Aufsatz von Hans-Christoph Buch kostet 98 Mark). Tatsächlich haben sich die Fotografen sehr zurückgehalten bei ihrer Arbeit vor Ort. Andreas Herzau war im August 1995 in Ruanda, trotzdem zeigt seine Serie „Die Lebenden, die Toten, die Mörder“ neben Dokumenten der Vernichtung die Gesichter der regungslos starrenden Menschen, die in den Lagern warteten. Herzaus Fotos vermitteln nicht bloß den Schrecken des Krieges, sondern vor allem die Ratlosigkeit der Überlebenden, die selbst nicht verstehen können, wie sie überhaupt in diese Situation kommen konnten. Christian Jungeblodt hat die Rückkehr von Bosniern nach Tuzla dokumentiert, Michael Meyborg hat im August 1994 Kuba besucht, und Russell Liebmans Bilder aus Tschetschenien setzen sich mit dem Nachkriegsalltag auseinander.

All diese Bilder vereint vor allem ihre Einfühlsamkeit – von den Kindern in Afghanistan, die vom Rollstuhl aus Drachen steigen lassen und denen Jungeblodt verschleierte Flüchtlingsfrauen aus Kabul folgen läßt, bis zu der von Herzau 1996 fotografierten Frauenmenge in Sierra Leone (Foto), die auf ihre Impfung wartet. Es ist dies vielfältige und doch stets monotone Warten, aus dem die Aufnahmen zu „Flucht“ ihre Überzeugungskraft gewinnen. hf