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"Optimismus ist nicht gerechtfertigt"

■ Martin Dannecker, Sexualwissenschaftler und Mitinitiator der Schwulenbewegung der 70er Jahre, über den schönen Schein der Homoemanzipation, die Illusionen der Promiskuität und die Dringlichkeit, Bürge

taz: Neuere Beiträge zum Stand der Homoemanzipation sind in Dur gehalten. Fast alles sei erreicht, Schwule und Lesben können frei und locker atmen, zu befürchten haben sie nur noch wenig. Teilen Sie diese Sichtweise?

Martin Dannecker: Nein, ich bin darüber eher erstaunt. Das Gerede, daß schon deshalb für uns alles im Lot sei, weil hin und wieder im Fernsehen Homosexuelle sichtbar sind, ist nichts als oberflächlich.

Also macht ein Alfred Biolek noch keinen Homosommer?

Nun, seine Präsenz ist nicht nichts. Ein gutes Zeichen ist ja auch, wenn in Berlin ein Stadtteilfest unter schwulesbischer Flagge stattfindet. Natürlich haben die Toleranzspielräume zugenommen. Aber diejenigen, die alles schönreden, können nicht erklären, weshalb die meisten Homosexuellen trotzdem die Öffentlichkeit scheuen.

Und die ist nicht eingebildet?

Zunächst ist sie erschreckend real. Ich schreibe Gutachten für junge Männer, die nicht zur Bundeswehr wollen, weil sie dort fürchten, als Schwule entdeckt zu werden. Ihre Befürchtungen sind nicht eingebildet. Auch das Ausmaß der Gewalt gegen Schwule spricht dem Bild einer paradiesischen Welt Hohn. Der Optimismus ist nicht gerechtfertigt.

Warum aber können sich 20 Schwule nicht gemeinsam wehren, wenn sie von drei Homohassern im Park überfallen werden?

Weil sie voll von Scham sind. Und weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß eine Flucht aus der Situation günstiger ist.

Weshalb, wo doch die Angegriffenen in der Überzahl sind?

Das spielt keine Rolle, weil sie sich nicht als souverän empfinden.

Warum nicht?

Schwule haben früh erfahren müssen, daß sie anders sind – lange vor ihrem Coming-out. Und ihre Erfahrung mit diesem Gefühl ist oft die gleiche: Niemand steht mir bei. Das setzt sich im Erwachsenenleben fort. Erzählt einer in einer Runde einen gehässigen Schwulenwitz, traut sich der Homosexuelle nicht, dem zu widersprechen – weil er weiß, daß er allein ist und im Falle eines Protests zudem als humorlos gelten könnte.

Und warum wirken Sie nicht geduckt und eingeschüchtert?

Weil ich früh frech genug war, mir Unverschämtheiten zu verbitten. Und es traut sich niemand mehr, mich wegen meiner Homosexualität zu benachteiligen. Womöglich habe ich auch eine Ausstrahlung, daß ich zurückschlagen würde, wenn mir jemand böse will.

Und weshalb legen sich andere Schwule diese Aura nicht auch zu?

Weil jeder andere biographische Voraussetzungen mitbringt. Die müssen respektiert werden, deshalb möchte ich nichts verallgemeinern. Was mir möglich ist, will ich von anderen nicht fordern, vor allem nicht moralisch.

Woran liegt es, daß die einen tough, andere wund wirken?

An frühen und prägenden Erfahrungen in ihren Familien.

Nicht an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen?

Gewiß. Aber zu diesen gehört auch die Familie. Dort entscheidet sich, ob beispielsweise ein Coming- out eher als nur irritierend oder als traumatisch erlebt wird.

Wovon hängt das ab?

Bei Schwulen von den Vätern. Wenn die ihre Söhne, vielleicht auch aus Angst vor eigenen weichen Anteilen, zu vermeintlich echten Männern dressieren und an ihnen alles entwerten, was in eine weibliche Richtung deutet, ist der Selbsthaß im Coming-out enorm: Die Betroffenen haben da längst gelernt, daß das Begehren eines Mannes nur Frauen zusteht.

Wie könnten es Väter und Mütter besser machen?

Mit einer Haltung, die das andere einfach akzeptiert. Etwas, das zu dem Kind gehört wie seine Haarfarbe. Wenn der Sohn Spaß daran hat, mit Puppen zu spielen, dann soll er sich eben mit Puppen beschäftigen. Und es gibt Väter, die das nicht als Bedrohung ihrer eigenen Männlichkeit empfinden, sondern ihre Söhne einfach lieben – was eine gute Chance ist, im Coming-out sich nicht einsam zu fühlen.

Wobei Homosexuelle trotzdem Außenseiter bleiben.

Aber zumindest in ihrer Familie nie das Gefühl hatten, den Schutz zu verlieren. Die Philosophin Hannah Arendt bekam als Kind von ihrer Mutter eingeschärft, sofort die Schule zu verlassen, wenn sie als Jüdin diskriminiert werde und sie darüber zu informieren, damit sie ihr beistehen kann. Diese Loyalität kennt ein Junge, in dem ein Homosexueller schlummert, kaum. Sie werden gehänselt und bekommen dennoch keinen Beistand durch ihre Eltern.

Und Mädchen, die später zu Lesben werden?

Für die gilt das gleiche. Aber Mädchen können bis etwa in die Pubertät hinein auch jungenhafte Verhaltensweisen ausprobieren. Und das liegt daran, daß Weiblichkeit in unserer Gesellschaft eine mediokre Bedeutung hat. Aber an der Schwelle zum Erwachsenwerden hört auch bei jungen Frauen der Spaß auf.

Und hat sich an diesen Mustern denn gar nichts geändert seit Ihrer gemeinsamen Studie mit Reimut Reiche über den „Gewöhnlichen Homosexuellen“?

Natürlich einiges, aber nicht soviel, daß man von entscheidenden Brüchen sprechen könnte. Die tradierten Vorstellungen von dem, was männlich und weiblich ist, existieren hartnäckig weiter, da soll man auch nicht so tun, als wären wir schon so viel weiter. Der Schein trügt.

Nun verspießert auch noch die Homobewegung, wie einige ihrer Protagonisten aus den siebziger Jahren behaupten.

Ach, ich habe keine Ahnung mehr, was spießig genau bedeutet. Als Rosa von Praunheim und ich Anfang der siebziger Jahre anfingen, den Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ zu konzipieren, waren die Begriffe noch deutlich. Es war eine Zeit des Aufbruchs – die Welt mußte und sollte durch uns verändert werden. Wir fühlten uns schon als Avantgarde.

So bequem ist es nicht mehr.

Nein. Wer weiß denn schon wirklich, wie Schwule und Lesben leben, wie sie über die Runden kommen und mit welchen Strategien sie sich behaupten. Darüber gibt es nur wenig Wissen. Sicher ist, daß wir auch damals keine Massenbewegung waren, die angeblich nun auf den Hund gekommen ist.

Aber eine Bewegung, die die Promiskuität in den Rang einer Tugend gehoben hat.

Aber das war nicht dogmatisch gemeint. Wir wollten der Gesellschaft nur ihren Spiegel vorhalten und deren Vorstellungen von einer normalen Sexualität erschüttern – das war in der Tat subversiv. Es war ein nötiger ästhetisch-politischer Gegenentwurf auch zur verdrucksten Homogemeinde selbst.

Ist Promiskuität denn nicht wertvoll? Heteros schwärmen doch dauernd vom tollen Sex der Schwulen.

Da schwingt viel Mythologie mit. In Wirklichkeit ist Promiskuität anstrengend. Außerdem möchten die meisten, die als Singles ihr Leben verbringen, einen Partner. Gesprochen werden müßte 30 Jahre nach der Geburt der neuen deutschen Schwulenbewegung mehr über die Partnerbeziehungen von Schwulen und Lesben. Und zwar über ihre Probleme miteinander, wo die Gesellschaft ja fast noch totalitär auf die Mann- Frau-Polarität geeicht ist.

Und nun fordert der Bundestagsabgeordnete Volker Beck die Homoehe. Ist das nicht etwa eine Kapitulation vor Heteronormen?

Nein, sondern ein ganz normales und wichtiges Bürgerrecht, das solange zu erkämpfen wichtig ist, wie es auch die Heteroehe gibt. Ich würde zwar nicht heiraten, aber es könnte mich ja auch keiner zwingen. Zudem will ich auch nicht, daß aus meiner höchst privaten Haltung eine Politik abgeleitet wird.

Sollte man nicht lieber gleich die Ehe abschaffen?

Und dabei auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten? Das wäre unpolitisch. Warum denn nicht ein Projekt für sich reklamieren, um es von innen heraus zu verändern?

Weil manche fürchten, dann ihres Andersseins beraubt zu werden.

Wir bleiben anders, da muß man nicht immer so identitätsängstlich sein. Selbstbewußt das andere zu sein, ohne das Normale zu lassen: Das klingt einfach, würde uns gerecht und ist doch für die meisten nach wie vor schwer zu machen. Interview: Jan Feddersen

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